Neuss ist Heimat geworden

Die Abschiebung von Michael John konnte gerade noch verhindert werden.

Neuss. Michael Johns neues Leben begann, als er 15 Jahre alt war. Da kam er als Flüchtling nach Deutschland. In Nigeria hielt ihn nichts mehr. Seine Eltern waren bei einem Überfall gestorben, den Kontakt zu seinen Verwandten hatte er verloren.

Heute sagt der 20-Jährige: „Nigeria ist mir fremd geworden. Meine Heimat ist hier.“ Doch beinahe wäre Michael John abgeschoben worden — in einen Staat, in dem er niemanden kennt.

So ging es ihm auch, als er nach Deutschland kam. Inzwischen hat er Freunde gewonnen und wohnt in einer WG in Neuss mit anderen Jugendlichen und Betreuern zusammen.

Michael John — dunkelhäutig, Kinnbart, warmes Lächeln — erzählt von seinen Träumen: „Mein Ziel ist, mit der Musik groß rauszukommen.“ Er singt in drei Gospelchören, auch in der „Brand New Life Church“ in Neuss. Doch Integration kann an unterschiedlichen Faktoren festgemacht werden.

Die Ausländerbehörde verlangt von Michael John einen unbefristeten Arbeitsvertrag mit einem Gehalt von 900 Euro pro Monat oder Bürgen, die die Finanzierung des Nigerianers übernehmen.

Oliver Ongaro von der Flüchtlingsinitiative Stay erklärt die Problematik, in der sich John, der gerade sein Fachabitur nachmacht, befindet: „Welche Arbeit soll er finden, die er neben der Schule ausüben kann und trotzdem so viel verdient? Dann müsste er die Schule abbrechen.“

Dass der Flüchtling seinen Abschluss machen und später studieren möchte, werde von der Ausländerbehörde nicht gewürdigt. Nur das Einkommen zähle.

Für John ist das ein Teufelskreis, denn viele Arbeitgeber stellen niemanden ein, der nur mit einer Duldung in Deutschland lebt. Der 20-Jährige berichtet: „Ich habe 15 Bewerbungen geschrieben. Da kommt gar nichts zurück, nicht einmal eine Absage. Das ist total frustrierend.“

Bei der Ausländerbehörde habe ihm gesagt: „Du hast deine Chance gehabt und sie nicht genutzt.“ 2008 hatte John nach seinem Realschulabschluss eine Ausbildung zum Altenpflegehelfer begonnen.

Die Arbeit mit Demenzkranken-Patienten habe ihn psychisch mitgenommen, und bei der medizinischen Theorie sei er nicht richtig mitgekommen. Heute weiß John: „Ich habe den Fehler gemacht, mit niemandem darüber zu reden, was mir an dieser Arbeit schwer fiel.“

Nach der Probezeit wurde ihm gekündigt. Im Dezember 2009 wollte Michael John seine Duldung verlängern lassen und erfuhr in der Behörde, dass seine Ausreise bereits geplant sei. „Ich war so geschockt“, sagt er. Eine Petition an den Landtag konnte seine Abschiebung gerade noch aufschieben.

Eine vorläufige Lösung für Michael John ergab sich erst in den vergangenen Tagen. Die Organisation Fiftyfifty konnte per Rundmail einen Bürgen für ihn finden. Ongaro von der Flüchtlingsinitiative Stay ist von diesem Verlauf positiv überrascht.

Michael John ist vorerst nicht mehr von einer Abschiebung bedroht. Der Nigerianer kündigt an: „Ich schaue jetzt erst einmal nach vorn.“ Das kann tatsächlich nicht jeder Flüchtling sagen.

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