Als Karo Trumpf war: Der Messerschmitt Kabinenroller

St. Ingbert (dpa/tmn) - Klein und wendig - keine unpraktischen Eigenschaften für ein Fahrzeug, das im Großstadtverkehr bestehen soll. Der Messerschmitt Kabinenroller erfüllte sie schon in den 1940er Jahren.

Ausgerechnet das Auto machte dem schwachbrüstigen Dreirad für Zwei den Garaus.

Wenn Stefan Voit an die jüngsten Designstudien für den Stadtverkehr denkt, huscht ihm ein Lächeln über die Lippen. Audi Urban Concept, der VW Nils oder der Opel RAKe - was die Autohersteller da so erdenken, ihn erinnern die schmalen Vehikel an schon einmal Dagewesenes. Konkret denkt der Autosammler an ein äußerst wendiges Fahrzeug, dessen Geschichte in die 1940er Jahre zurückreicht: den Messerschmitt Kabinenroller.

Neben 50 anderen Winzlingen parkt ein Exemplar in einer Maschinenhalle im saarländischen St. Ingbert. In liebevoller Detailarbeit hat Voit hier eine der größten Kleinstwagen-Sammlungen der Republik zusammen getragen. „Der Messerschmitt Kabinenroller war schon damals das, was die Hersteller heute händeringend suchen: Ein bezahlbares, wendiges Fahrzeug für kurze Strecken“, ist der Autofan überzeugt. Schon damals wurde geworben: „Die Straßen werden immer voller, fahr Messerschmitt Kabinenroller.“

Erdacht wurde der Karo, wie Liebhaber den Kabinenroller nennen, von dem Konstrukteur Fritz Fend. Er hatte während des Zweiten Weltkrieges bei der Entwicklung von Messerschmitt-Kampfflugzeugen mitgearbeitet und sich 1946 wieder Fahrzeugen gewidmet. Zunächst ging es ihm dabei um ein Versehrtenfahrzeug, das beinamputierte Kriegsveteranen mit den Armen antreiben konnten. Diesen Fend Flitzer genannten Einsitzer mit Wetterschutz, zwei Rädern vorn und einem hinten, bestückte der Entwickler wenig später mit einem Fahrradhilfsmotor und schließlich mit einem Motorrad-Einzylinder. Dann kam ein zweiter Sitz und eine etwas schnittigere Karosse dazu, und der Kabinenroller war geboren.

Fend fehlten aber die Mittel, von der Kleinserie auf Massenproduktion umzustellen. Schließlich sprang sein früherer Arbeitgeber Messerschmitt ein. Auf dem Genfer Automobilsalon 1953 wurde der Messerschmitt Kabinenroller KR175 dann enthüllt.

Dass der Wagen im Nachkriegsdeutschland gut ankam, hat laut Sammler Voit einen einfachen Grund: „Die ersten Anzeichen des Wirtschaftswunders waren schon zu spüren, und die Leute wollten auch auf der Straße endlich ein Dach über dem Kopf“, sagt Voit. „Endlich mal mit sauberer Hose und weißem Hemd am Wochenende zur Oma fahren, und nicht verdreckt vom Motorrad steigen. Mehr wollten die Deutschen damals gar nicht.“ Zudem war kein Autoführerschein nötig: Den Kabinenroller durfte man mit einer Lizenz für Motorräder fahren.

Den Umstieg vom Motorrad in den Kabinenroller mögen viele als Fortschritt empfunden haben. Doch wer heute aus einem Auto in den Karo umsteigt, fühlt sich doch eher beengt: Man sitzt auf einem schmalen Stühlchen wie in einer Blechkiste. Die Füße passen zwischen den lenkbaren Vorderrädern kaum auf die kleinen Pedale. Das nach dem Vorbild der Fliegerei zum Steuerhorn verkleinerte Lenkrad lässt sich zwischen den Knien kaum drehen. Fahrer und Sozius sitzen eng hintereinander und sind von einer großen Plexiglaskuppel umhüllt.

Aber immerhin: Der Kabinenroller fuhr. Sein gerade mal 175 ccm großer Einzylinder leiste 7 kW/9 PS und schaffte etwa 70 km/h. Nur zwei Jahre nach der Premiere legte Fend Anfang 1955 nach und lieferte den KR200 aus. In diesem Modell hatte der Zweitakter bereits 191 ccm Hubraum, kam auf 7 kW/10 PS und erreicht bei Vollgas 90 Sachen.

Zum Stückpreis von anfangs 2100 D-Mark produzierte das Werk in Regensburg in den ersten Jahren bis zu 80 Fahrzeuge am Tag - Fend profitierte wie auch BMW mit der Isetta von den Anfängen der Massenmotorisierung. Allein 1955 wurden vom KR200 rund 12 000 Stück gebaut. Allerdings stoppte Messerschmitt wegen neuer Flugzeugprojekte den Fahrzeugbau bald, und Fend musste in Selbstregie neu beginnen.

Lange konnten sich die Kabinenroller jedoch nicht halten. „Mit dem Einkommen stiegen auch die Ansprüche“, sagt Voit. Je stärker das Wirtschaftswunder in Fahrt kam, desto schwerer wurden die Zeiten für die Kleinstwagen: „Irgendwann hatten die Menschen genug Geld und wollten ein richtiges Auto, mit dem man auch weiter weg in Urlaub fahren konnte.“ Daran ging letztlich auch die 1957 gegründete Fahrzeug- und Maschinenbau Regensburg GmbH zugrunde, die 1964 die Produktion von Fends Kabinenroller endgültig einstellte. Bis dahin waren laut Voit rund 30 000 Exemplare gebaut worden.

Der Kabinenroller hielt eine Zeit lang noch die Stellung: Es gab Lizenzbauten in England und eine Neuinterpretation aus dem Schwarzwald. Und selbst Fritz Fend wollte es in den 1980er Jahren mit einem neuen Entwurf namens Fend2000 noch einmal wissen. Doch dieser Wiederbelebungsversuch schaffte es nie auf die Straße, während eine eingeschworene Sammlergemeinde sich liebevoll um die Originale kümmert. Gut erhaltene Stücke werden mittlerweile mit bis zu 20 000 Euro gehandelt.

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