Der Exportschlager: 50 Jahre Renault R4

Paris/Stuttgart (dpa/tmn) - Gutmütig, geräumig und gesellschaftsfähig: Vor 50 Jahren präsentierte Renault den R4. Schnell wurde der kantige Kasten ein beliebter Begleiter. Studenten, Handwerker und Familien schätzten ihn.

Sogar die Revolverschaltung hatte ihre Fans.

Deutschland im Jahr 1961: Konrad Adenauer ist Bundeskanzler, die Jugend hört Peter Kraus, der VW Golf heißt noch Käfer, und auf der Internationalen Automobilausstellung gibt es einen Star, mit dem keiner gerechnet hat. Ein Kleinwagen - und auch noch einer aus Frankreich - stielt der versammelten PS-Prominenz die Schau: der Renault R4.

Fast genau 50 Jahre nach seiner Premiere ist der kantige Kasten aus Frankreich Kult. Denn er hat nicht nur die Welt der Kleinwagen revolutioniert, sondern es auch in der Statistik weit gebracht. In 31 Jahren liefen bis 1992 mehr als acht Millionen Exemplare vom Band. „Das macht den R4 zum meistverkauften Auto aus Frankreich und zu einem der erfolgreichsten Fahrzeuge weltweit“, schreibt der Stuttgarter Sammler Ingo Heitel auf seiner R4-Webseite.

Was den 3,66 Meter kurzen R4 so besonders macht, ist seine Konstruktion. Er mag zwar nicht so viel Charme haben wie der Mini oder der Citroën 2CV, der als Ente zur Legende wird. Aber mit vier Türen, großer Heckklappe und einer Rückbank, die man erstmals bei einem Serienauto im Handumdrehen umlegen kann, beschreitet er neue Wege. Weil er mit seinen 1,55 Metern höher ist als viele Autos dieser Zeit, sehen ihn Fans sogar als Urvater des Kompaktvans.

Das Konzept setzt sich durch. Studenten lieben den R4 als billigen Kleinwagen, der zur Not auch für Umzüge einer ganzen WG taugt. Für junge Pärchen gibt er den idealen Familienwagen. Und manch einer schätzt seinen klassenlosen Status. Nicht zuletzt bei Handel, Handwerk und Gewerbe kommt der R4 gut an. Nur einen Monat nach der Premiere der Limousine bringen die Franzosen den nicht minder erfolgreichen Kastenwagen Fourgonnette. Später gibt es noch weitere Karosserievarianten: 1964 ein R4 mit Allradantrieb und ein Pick-Up, 1965 das türenlose Vollcabrio „Plein Air“ und 1970 das Freizeitgefährt „Rodeo“, das die Idee der SUV vorweg nimmt.

Seinen Erfolg hat der R4 dem damaligen Renault-Chef Pierre Dreyfus zu verdanken, der die Ingenieure zu einem radikalen Neuanfang zwingt. Er fordert ein Auto, das jedem Bedarf gerecht wird, junge Familien genauso erreichen kann wie das Rentner-Ehepaar. Die Ingenieure lassen sich weder vom Heckmotor noch vom Hinterradantrieb des Vorgängers 4CV beeinflussen. Stattdessen packen sie den Motor zwischen Fahrer und Vorderachse in den Bug. Wo andere Kleinwagen als „Heckschleudern“ beschimpft werden, bleibt der R4 auch in Kurven gutmütig.

Charaktermerkmal ist die gewöhnungsbedürftige Revolverschaltung, die die Fans aber schnell liebgewinnen. Der Blick ins spartanische Cockpit des Klassikers bleibt immer wieder an jenem Schaltknauf hängen, der wie ein Pistolengriff aus dem Armaturenbrett ragt. Als Ruheplatz für die rechte Hand fungiert er und als Haken für allerlei Kleinkram vom Wunderbaum bis zur Handtasche. Außerdem ermöglicht die Schaltung einen vollkommen ebenen Wagenboden, so dass man bequem durchrutschen und den R4 problemlos auf beiden Seiten verlassen kann. In engen Parklücken ist das keine schlechte Eigenschaft.

Recht mickrige Motoren sind vor 50 Jahren zwar normal - ebenso Schiebefenster oder Sitze mit dem Komfort von Gartenstühlen. Doch der R4 ist schon für damals dürftig motorisiert. In Deutschland startet der R4 1961 für 3830 Mark mit einem wassergekühlten Vierzylinder, der aus 0,75 Litern Hubraum 17 kW/23 PS schöpft. Ein Jahr später gibt es 0,85 Liter und 19 kW/26 PS, und ab 1973 verkauft Renault den R4 immerhin mit 25 kW/34 PS. Damit sind 120 km/h möglich.

Aber spätestens in den Ölkrisen 1971 und 1973 zahlt sich die Bescheidenheit aus - auch in Deutschland. „Zeitweise erreicht er hier einen Marktanteil von vier Prozent“, sagt Renault-Sprecher Thomas May-Englert. Das sind Werte, die Renault heute nicht einmal mit der gesamten Flotte erzielt. Insgesamt entscheiden sich für den R4 mehr als 900 000 deutsche Autokäufer und machen ihn so nach Recherchen von R4-Experte Heitel zum meistverkauften Importauto der Republik. Schon Mitte des vergangenen Jahrzehnts waren beim Kraftfahrtbundesamt in Flensburg aber keine 7000 R4 mehr registriert.

Nicht nur in Deutschland ist der Export erfolgreich. Der R4 markiert für die Franzosen den Beginn der Globalisierung: Er wird in 28 Ländern gebaut und mehr als 100 Staaten verkauft. Doch schließlich 1992 sind es die Abgasgesetze, die zum endgültigen Aus des Klassiker führen. Hoffnungen auf ein Comeback gibt es reichlich. Doch anders als beim Fiat Cinquecento, dem Mini und dem VW Beetle stehen die Chancen bei Renault dafür eher schlecht: An einen Nachfolger denkt in Paris derzeit niemand. Warum auch? Schließlich gibt es ja für Praktiker im Geist des R4 den Renault Kangoo und für Preisfüchse bei der Tochtermarke Dacia den Sandero.

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