Motorrad-Tuning für Behinderte: Deutschlands Spezialist

Krefeld (dpa) - Wenn Behinderte nicht auf den Rausch der Geschwindigkeit verzichten wollen, schaffen sie ihre Motorräder zu Wilhelm Költgen. Der Krefelder ist Deutschlands bekanntester und wohl auch einziger Motorrad-Tuning-Spezialist für Behinderte.

Das schwarz-weiße Motorrad entstammt einer Schweizer Edelschmiede. Seine 185 PS beschleunigen blitzschnell auf Tempo 220 - dann wird der Bolide elektronisch abgeriegelt. Mehr soll nicht gehen, denn der Fahrer ist nach einem Schlaganfall halbseitig gelähmt. Nun ist Wilhelm Költgen gefragt - dem Motorrad-Tuning-Spezialist für Behinderte. Dem Tüftler selbst fehlt von Geburt an die rechte Hand.

Für seinen Schlaganfall-Kunden hat der 52-Jährige das Geschoss zu einem Dreirad umgebaut. Bremsen, Gasgriff, Schaltung - alles wurde außerdem auf der linken Seite angeordnet. „Der fährt das Ding bestimmt nicht bis zum Anschlag aus,“ vermutet Költgen. „Aber die Freiheit zu genießen, ist gut für sein Ego.“ Költgen ist Experte für Spezialkonstruktionen, die Menschen das Motorradfahren ermöglichen, obwohl sie behindert sind.

Derzeit freut sich in Österreich eine querschnittgelähmte junge Frau auf ihre schwarze Harley Davidson. Die Maschine ist gerade in Krefeld zur Inspektion. Költgen überholt auch die Pneumatik, die mit 200 Kilogramm Schubkraft in einer Sekunde zwei seitliche Stützräder ausklappt.

Die Stützen geben der Fahrerin Stabilität beim Aufsteigen und beim Stopp an der Ampel. Fährt sie los, schwenken die Räder hoch. Niemand sieht dann, dass eine behinderte Fahrerin die Harley lenkt. Die Stützräder sind Költgens Erfindung. Er hat sie sich patentieren lassen.

Durch sein eigenes Handicap erwachte schon früh sein Tüftlersinn: „Als ich 15 war, bekamen meine Freunde ihre Mofas. Das wollte ich auch und fing an zu basteln.“ Später machte Költgen seinen Beruf daraus. Rund 100 Prototypen entstehen pro Jahr in seiner Werkstatt in Krefeld. Er hat mehr als 4000 Kunden in aller Welt.

Gerade schrauben seine vier Mitarbeiter an einer Maschine für einen Ägypter. Der Mann hat beide Beine durch eine Tellermine verloren. Sein heißer Ofen bekommt Stützräder, die in Koffertaschen eingefahren werden können. Für die Beinprothesen wird eine spezielle Halterung angebracht. Das Motorrad hat auch einen Gepäckträger für den Rollstuhl.

„Bevor wir was bauen, bekommt der Kunde eine ausführliche Beratung, die auf sein individuelles Handicap zugeschnitten ist. Keine Behinderung ist gleich“, sagt Költgen. Vieles ist möglich, auch das Fahren mit nur einem Arm. Dabei werden alle Bedienungselemente für Blinker, Hupe, Bremse und Automatikgetriebe in einen Griff integriert.

Mindestens genauso wichtig: Die Gewissensfrage. Mancher Biker hat seine Behinderung durch einen Motorradunfall erlitten. „Da muss ich herausfinden, ob derjenige auch psychisch schon wieder soweit ist zu fahren. Wenn ich merke, einer leidet noch zu sehr unter dem Unfalltrauma, rate ich ab oder empfehle zu warten“, sagt Költgen.

Die behinderten Motorradkunden sollen ihren Spaß haben, aber es soll nichts passieren. Deshalb werde jeder Umbau ausgiebigen Testfahrten unterzogen. Der TÜV Rheinland nimmt die Fahrzeuge technisch ab. Fahrlehrer testen die Eignung des behinderten Kunden auf dem firmeneigenen Fahrschul-Motorrad. „Bisher leben meine Kunden alle noch“, betont Költgen.

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