VW Golf R: Der Bestseller in böse

Berlin (dpa-infocom) - Ein Golf als Pulsbeschleuniger? Bei aller Liebe zum meistverkauften Auto im Land, war das bislang schwer vorstellbar. Doch VW kann auch anders. Das beweist jetzt die werkseigene R GmbH mit einem 300 PS starken Bösewicht.

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Hoppla, was ist denn das? Wenn man in diesem Golf ein bisschen zu ungestüm Gas gibt, dann wird das Heck plötzlich ganz leicht und dreht sich elegant nach außen. Nicht dass so eine Situation gefährlich wäre, zumal die Elektronik den Wagen rechtzeitig wieder einfängt, bevor es wirklich brenzlig wird. Doch ganz kurz geht der Pulsschlag in die Höhe, denn von einem gewöhnlichen Golf hätte man solche Eskapaden nicht erwartet. Dafür ist Deutschlands Bestseller viel zu brav und bieder. Aber das hier ist ja auch kein gewöhnlicher Golf. Wir sitzen im neuen Golf R, der mit 221 kW/300 PS, Allradantrieb und dem einzigen komplett abschaltbaren ESP in der Baureihe die sportliche Speerspitze der Golf-Familie markiert.

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Auf den ersten Blick bleibt er ein Biedermann

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Diese Rolle kann man dem Golf R auf den ersten Blick nicht ansehen. Denn auch mit den neuen Schürzen und Schwellern, zwei Zentimetern weniger Bodenfreiheit, den größeren Lufteinlässen vorn sowie den zwei Doppelendrohren und den abgedunkelten LED-Leuchten am Heck sieht das R-Modell vergleichsweise zurückhaltend aus. Eine „Balance aus Seriosität und Sportlichkeit“, nennt Designchef Klaus Bischoff diese Gratwanderung. Oder einfach den Golf im Schafspelz.

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Innen wird die Sache schon ein bisschen deutlicher: Die Sitze sind für den besseren Seitenhalt in engen Kurven deutlich stärker konturiert. In den Konsolen schimmern blau beleuchtete Zierleisten. Und durchs Cockpit zucken eisblaue Zeiger über Skalen, die beim Drehzahlmesser erst ab 6000 Touren rot werden und beim Tacho bis 320 km/h reichen - wenn das mal keine verlockenden Aussichten sind.

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Der Sound verrät den Sportler

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Spätestens wenn man aber den Motor anlässt, dann ist es mit Zweifeln und Zaudern vorbei: Der Vierzylinder brüllt kurz und kräftig auf und röhrt danach zumindest im Sportmodus so verlockend, dass man den Fuß kaum mehr vom Gas nehmen möchte. Genau dafür ist dieses Auto gemacht. Mit einem Leistungsgewicht von weniger als fünf Kilo und mehr Power als ein Porsche Boxster, stürmt der Golf R so vehement voran, dass einem selbst der GTI ziemlich blutleer vorkommt. Schließlich gehen hier bis zu 380 Nm zu Werke, mit denen man in 5,1 oder mit DSG sogar in 4,9 Sekunden von 0 auf 100 km/h beschleunigt. Und dass bei Tempo 250 km/h schon wieder Schluss ist, hat keinen technischen Grund, sondern ist der Konzernhierarchie geschuldet: Schneller darf nur der kommende Audi RS3.

Damit diese Kraft auch sicher auf die Straße kommt, rüstet VW den R-Golf anders als den GTI serienmäßig mit Allradantrieb aus. Aber die Auslegung dieser Traktionshilfe und jede Menge Elektronik sorgen dafür, dass der Spaß nicht auf der Strecke bleibt: Solange es geht, fährt der Golf R als Fronttriebler, der die Hinterachse nur im Ernstfall zuschaltet. Es gibt elektronische Quer- und Differentialsperren und ein tolerantes Stabilitätsprogramm, das schon im Sportmodus elegante Driftwinkel zulässt. Wer es wirklich wissen will, der kann die elektronischen Schutzengel mit einem vier Sekunden langen Knopfdruck sogar ganz in den Ruhestand schicken.

Bei Vollgas wird einem warm ums Herz

Dazu noch die Progessivlenkung mit ihrer direkten Übersetzung, ein Fahrwerk mit Dämpfern, die sich auf Knopfdruck verhärten und ein enger gestuftes Sechsgang-Getriebe mit kürzeren Schaltwegen - so wird der Golf zum König der Kurven und das eher betuliche Allerweltsauto gibt plötzlich den Aufreger: Mit heißem Atem treibt man den Wagen über die Landstraße, lenkt ihn auf glatter Fahrbahn auch mal mit dem Gasfuß und freut sich am Biss, den der Bestseller plötzlich entwickelt. So steigt der Blutdruck, der Puls beginnt zu rasen und zum ersten Mal in einem Golf wird einem richtig warm ums Herz - selbst wenn es draußen noch winterlich kalt ist.

Ein Golf mit mehr Leistung als ein Porsche Boxster - dafür muss man tief in die Tasche greifen. Wo das Basismodell 17 175 Euro kostet, rollt der Golf R in diesen Tagen für mindestens 38 325 Euro zu den Händlern. Und da sind Extras wie das adaptive Fahrwerk und viele Assistenten noch gar nicht an Bord. Voll ausgestattet kommt er fast an die 50 000 Euro und ist dann einem echten Sportwagen auch in dieser Disziplin schon gefährlich nahe. Das gilt übrigens auch für den Verbrauch: Für den Prüfstand meldet VW 7,1 Liter und einen CO2-Ausstoß von 165 g/km. In der Praxis ist man schnell beim Doppelten.

Fazit: Biedermann als Bösewicht

Er sieht zwar aus wie ein ganz normaler Golf und lässt sich auch genauso bedenkenlos fahren. Doch wenn man dem Golf R die Sporen gibt, wird er tatsächlich zum Sportler. Praktisch, klassisch, ergonomisch, wertbeständig, innovativ, intelligent und - ja - gerne auch ein bisschen teurer: Der Golf hat viele Facetten, aber mit der R-Version wird der Biedermann zum Bösewicht und gewinnt eine neue Facette dazu.

Datenblatt: VW Golf R

Alle Daten laut Hersteller, GDV, Schwacke

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