„Ausweitung der Kampfzone“ in Berlin

Berlin (dpa) - „Ausweitung der Kampfzone“ - unter diesem Schlagwort beschrieb der französische Erfolgsschriftsteller Michel Houellebecq 1994 das Lebensgefühl der modernen Gesellschaft als Kampf an allen Fronten.

Die Neue Nationalgalerie in Berlin hat den Titel des einstigen Skandalbuchs jetzt bewusst als Motto für ihre neue Ausstellung gewählt.

Mit fast 100 Werken großer zeitgenössischer Künstler stellt sie ihren hochkarätigen Sammlungsbestand aus den Jahren 1968 bis 2000 vor - von Joseph Beuys bis Gerhard Richter, von Andy Warhol bis Jeff Koons.

Es dürfte der spektakulärste Kehraus seit langem sein. Denn die Schau ist zugleich die letzte Ausstellung, die vorerst in dem berühmten Mies-van-der-Rohe-Bau am Potsdamer Platz gezeigt wird. Von Anfang 2015 an wird der „Tempel aus Glas“ umfassend saniert und bekommt nach langer, quälender Diskussion einen Erweiterungsbau für rund 130 Millionen Euro.

Das ursprünglich gar nicht als Museum gedachte Gebäude platzt seit langem aus allen Nähten: Die Neue Nationalgalerie kann jeweils nur ein Drittel ihrer Bestände zeigen. Die Ausstellung jetzt ist der dritte und letzte Teil der ehrgeizigen Sammlungspräsentation. Zuvor wurde in „Moderne Zeiten“ die Zeitspanne von 1900 bis 1945 vorgestellt, danach folgte mit „Der geteilte Himmel“ die Nachkriegsära bis zum Umbruchjahr 1968.

Für die neue Schau habe man sich auf Werke konzentriert, die die gesellschaftliche Relevanz von Kunst unterstreichen, sagte Nationalgalerie-Direktor Udo Kittelmann am Donnerstag vor der Eröffnung. „Die Ausstellung wird ein Bild der Gesellschaft vermitteln, wie es aktueller nicht sein kann.“

Eröffnet wird der Parcours schon im Foyer mit Joseph Beuys' Werk „Richtkräfte einer neuen Gesellschaft“. Der Grandseigneur der Installationskunst hatte die 100 mit Kreide beschriebenen Schultafeln schon einmal 1977 an genau dieser Stelle aufgebaut - als Signal, dass Kunst nicht ins Museum gehört, sondern Kontakt zu den Menschen braucht, wie der Galerie-Leiter Joachim Jäger erläuterte.

Kraftzentrum der Schau ist das monumentale späte Hauptwerk des US-Farbfeldmalers Barnett Newman „Who's Afraid of Red, Yellow and Blue“ (1969/1970), um das sich die anderen „Kampfzonen“ gruppieren. So fordert Gerhard Richters kraftvolle Farbkomposition „Atelier“ (1985) einen hochstehenden grauen Betonklotz („Saal“, 1989) von Isa Genzken heraus, gegen ein ausgebranntes Flugzeug von Anselm Kiefer steht die fast gespenstische Flughafenszene „Der Auftrag“ (1999) von Neo Rauch.

Besonderer Höhepunkt ist das Original-Atelier, das die Künstlerin Anna Blume nach dem Tod ihres Mannes Bernhard der Nationalgalerie vermacht hat. In den Regalen liegen noch die angebrochenen Farbtuben und benutzten Pinsel, die Skulpturen stehen da wie gerade bearbeitet.

„Das schreit geradezu nach einer dauerhaften Präsenz“, sagt Museumsleiter Jäger mit Blick auf den erhofften Neubau. Und Kittelmann meint: „Diese Hunderte von Arbeiten wollen jetzt eine Heimat finden. Und das sollten wir keinesfalls leichtfertig verspielen.“

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