Chess Boxing fordert Fäuste und Köpfchen

London (dpa) - Der Schweiß rinnt den beiden Schachspielern von der Stirn, ihre nackten Oberkörper zeigen rote Spuren von heftigen Schlägen.

„Ein falscher Zug, und ich hau Dir eine rein“, scheint dem Gegner ins Gesicht geschrieben. Er wartet gerade auf den nächsten Schritt seines Gegenübers. Das Schachbrett, über das sich die beiden jungen Männer beugen, steht in einem Boxring. Gleich wird es weggeräumt, und die beiden werden sich schlagen. Chess Boxing - Schachboxen - heißt der neueste Trend, bei dem sich in Londoner Clubs, in denen sonst getanzt wird, am Wochenende Hunderte Zuschauer aneinanderquetschen. Es herrscht Partyatmosphäre.

„Chess Boxing mag paradox klingen, aber Schachspielen und Boxen sind sich im Grunde sehr ähnlich“, sagt Tim Woolgar vom Londoner Chess-Boxing-Verein. „Es ist jeweils ein Kampf zwischen zwei Wettbewerbern, und in beiden Fällen spielt Glück nicht wirklich eine Rolle. Entweder bereitet man sich gut vor und gewinnt. Oder man verliert - und kann weder andere Teammitglieder noch Mangel an Glück dafür verantwortlich machen.“

Von der Intelligenzbestie zum Tier, das mit den Hufen scharrt - am Anfang ist für Neu-Zuschauer nicht so leicht zu durchschauen, was die Spieler da machen. Zwei Gegner boxen drei Minuten gegeneinander. Dann ertönt ein Signal, und das Schachbrett wird in den Ring getragen. Die zwei setzen sich hin, und spielen vier Minuten nach den Regeln des Schnellschach, bei dem die Zeit gestoppt wird. Dann erklingt wieder der Gong, das Schachbrett wird herausgetragen, und die nächste Boxrunde beginnt.

Das Ganze läuft in mehreren Runden. Sieger ist der, der den Gegner zuerst Matt setzt oder aber zuerst Knock-Out schlägt. Gibt es ein Patt, zählen die Punkte aus den Boxrunden. Die Atmosphäre im Saal ist hitzig und wird von einem leicht torkelnden, knapp bekleideten Nummern-Girl weiter angeheizt.

Chess Boxing steigt bei partyfreudigen Zuschauern in London zwar erst jetzt zum Trend auf - ganz neu ist es aber nicht, und auch in Städten wie Berlin oder Los Angeles gibt es schon länger Wettkämpfe. Erste Versuche starteten Ende der 1970er Jahre, berichtet Woolgar. „In den 1990er Jahren erschien dann ein Comic, in dem Schachboxen vorkam, und es ging richtig los.“ Der Londoner Chess-Boxing-Club wurde 2008 gegründet. Die Mitglieder trainieren wöchentlich und organisieren mehrere Wettbewerbe im Jahr. „Auf der ganzen Welt gibt es kleine Gruppen, die langsam wachsen. Wir hoffen, dass es sich so wie in Großbritannien ausbreitet.“

Neben der Feieratmosphäre unter den Zuschauern - die meisten von ihnen an diesem Abend sind männlich und um die 30 Jahre alt - bringt das Schachboxen laut seiner Fans aber auch noch anderen Gewinn. Der Londoner Club sieht es als seine wichtigste Aufgabe an, Jugendliche vor allem aus ärmeren Stadtvierteln zu fördern.

„Es geht darum, die intellektuellen Fähigkeiten von jungen Leuten zu entwickeln“, sagt der Chess-Boxing-Trainer und Schiedsrichter Ronaldo Dominges. Viele der Kinder und Jugendlichen, die zu ihm kämen, könnten schon boxen, oder würden zumindest erst mal davon angezogen. „Sie denken oft, Schachspielen ist nur was für besonders Clevere“, meint er. Oder für gehobene Klassen. „Aber jeder Mensch kann sowohl vom Boxen als auch Schachspielen etwas lernen.“

Seinen „Kids“ zum Beispiel bringe er mit beiden Sportarten Selbstkontrolle und Disziplin bei. „Es ist gut für das Gehirn, und gut für die Gesundheit“, meint Dominges. Und der Lerneffekt sei riesig: „Erst schlägt man sich, dann setzt man sich ruhig zusammen an einen Tisch.“

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