Der Nikolaus und die Flüchtlinge

Köln (dpa) - Harry Flicka (67) hat keine guten Erinnerungen an den Nikolaus. „Bei uns kam ein Knecht Ruprecht mit einem Sack, da hingen Kinderbeine raus. Wir waren fünf zu Hause, wir wurden alle mit der Rute verprügelt, mit Striemen an den Beinen.“ Er selbst wollte es einmal anders machen.

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Mittlerweile blickt der pensionierte Masseur auf eine 36-jährige Erfahrung zurück und trägt ganzjährig einen weißen Naturbart. Dennoch sitzt er an diesem Samstag in der Nikolaus-Schule des Bunds der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) in Köln, um sich weiterzubilden.

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Auch die anderen 54 Teilnehmer, aufgeteilt in die Arbeitsgruppen A und B, sind überwiegend alte Hasen. Gerade deshalb wissen sie um die brisanten Fragen, die sich einem Nikolaus-Darsteller im Jahr 2015 stellen: Darf man Kinder noch ermahnen? Darf man ihnen überhaupt noch etwas vorgaukeln? Und vor allem: Darf man in Flüchtlingsheimen auftreten?

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Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um den Weihnachtsmann mit pelzbesetztem Mantel und Zipfelmütze, hier geht es um den Heiligen Nikolaus mit Bischofsstab und Mitra. Also um einen Repräsentanten des christlichen Glaubens. Die Frage ist: Können Muslime damit etwas anfangen? Wollen sie das überhaupt? Oder könnte es als Missionierungsversuch missverstanden werden?

Walter Simon, seit 43 Jahren Nikolaus, hat diese Frage für sich beantwortet: Er will die Flüchtlinge in seinem Heimatort Kempen am Niederrhein auf keinen Fall leer ausgehen lassen. Schließlich sind sie es doch, die Geschenke jetzt am Besten gebrauchen könnten. Sein katholischer Pfarrer sieht da Probleme. Jetzt soll die Nikolaus-Feier im evangelischen Gemeindeheim stattfinden. Für einen Dolmetscher ist gesorgt, für den Bustransport auch.

Bernd Wagner-Ost (56) will ein Flüchtlingsheim in Köln besuchen. Für ihn steht fest: „Tadeln darf der Nikolaus diese Kinder nicht. Sie haben so Furchtbares mitgemacht - sie dürfen nur Positives hören.“ Seminarleiterin Britta Völkner schlägt vor, ganz vom gewohnten Ablauf abzuweichen. „Vielleicht kann der Nikolaus einfach bei einer schon laufenden Feier dazukommen und allen die Hand schütteln und den Helfern Danke sagen.“

Stundenlanges Diskutieren mündet in das Beschriften einer Flipchart. Begriffe wie „Sprachbarriere“ und „Kein Informationshintergrund“ stehen darauf. Da meldet sich Nikolaus-Veteran Harry Flicka zu Wort. Er weiß noch gut, wie er in Duisburg einmal in eine Schulaula kam, in der fast alle Mädchen Kopftücher trugen. „Mein erster Gedanke war: „Hier bin ich falsch. Ich muss hier raus.“ Aber ich bin dann geblieben, und heute bin ich dankbar dafür. Es war einer der schönsten Auftritte, die ich je gehabt habe.“

Die Kinder waren so aufmerksam und interessiert, wie er es schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sie wussten, dass der Bischof Nikolaus in Myra in der heutigen Türkei gelebt hatte. Sie kannten die Legenden. Nach seinem Auftritt hat ihn der örtliche Imam angerufen. „Wir haben uns getroffen, wir haben gesprochen, wir haben uns darauf geeinigt, dass wir beide an einen Gott glauben. Ich hab' damals mitgenommen: Die Denkweise bei denen ist genauso wie bei uns. Alle wollen nur, dass es ihren Kindern gut geht.“

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