Deutsche Sexualmoral im Haus der Geschichte

Bonn (dpa) - Rainer Langhans hatte noch ein Internat besucht, in dem sich die Mädchen zuriefen: „Schwestern, schlagt die Augen nieder, um die Ecke kommen Brüder!“ Nur sieben Jahre nach seinem Abitur propagierte er dann schon die freie Liebe in der legendären „Kommune 1“.

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Die Einstellungen wandelten sich schnell in jener Zeit. Das Bonner Haus der Geschichte widmet der deutschen Sittengeschichte seit 1945 jetzt eine eigene Ausstellung - der Titel: „Schamlos? Sexualmoral im Wandel“.

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Etwa 900 Objekte sind ausgestellt - darunter frühe Kondompackungen („Für höchste Ansprüche“), Filmplakate („Wie sag ich's meinem Kinde?“) und Ratgeber („Ich liebe und heirate - Gesundes Liebes- und Eheleben“). Das kleinste Exponat ist die Anti-Baby-Pille, das größte eine Kanzel - sie soll die Macht der Kirche bis weit in die 60er Jahre symbolisieren.

Der Jesuitenpater Johannes Leppich mobilisierte damals mit seinen Reden gegen die „Bestie Sexualität“ Massen, wie sie heute allenfalls Mario Barth aufbieten kann. „Mädel, kennst du den Mann denn, mit dem du vor den Traualtar trittst?“, fragte das „Maschinengewehr Gottes“. „Hüte dich, den Casanova in ihm herauszufordern! Sonst wird er an deiner Seite wie ein Flakscheinwerfer mit geilen Augen die Straße nach sexueller Aufputschung abgrasen!“

„Eigentlich war die Überlegung, mal eine Ausstellung zu machen über die sogenannte sexuelle Revolution“, erzählt Ausstellungsdirektor Jürgen Reiche. „Aber man kommt dann schnell dahinter, dass man sehr viel mehr mitbeleuchten muss. Die Debatten sind einfach nicht zu begreifen ohne das Umfeld der 50er und 60er Jahren, nämlich eine verkrustete Gesellschaft mit überholten Moralvorstellungen.“

Die Ausstellung (30. Mai 2015 bis 14. Februar 2016) zeichnet diese Debatten nach. Es beginnt mit der „Schmutz-und-Schund“-Kampagne“ der 50er Jahre, die sogar zur Zensur von Tarzan-Comics führte - die Amazonenkönigin durfte nicht im Bikini auftreten. Und es endet mit aktuellen Diskussionen über Prostitutionsgesetz und Homo-Ehe. „Ich sag Ihnen ganz ehrlich, dass ich mich schwer tue mit der völligen Gleichstellung“ - mit diesem Satz prangt Angela Merkel an der Wand.

„Es ist eine Mär zu denken, dass alles so rund um das Jahr '68 passiert ist“, meint Reiche. So war vorehelicher Sex in den 50er Jahren offiziell zwar noch tabu - doch die tatsächliche Einstellung war wohl schon eine andere: In einer Allensbach-Umfrage vom Ende der 50er Jahre hieß die große Mehrheit der Befragten Sex vor der Ehe gut. Viele Ehen wurden damals geschlossen, weil die Frau schwanger war.

„Das einschneidendste Ereignis von allem war die Einführung der Pille“, meint Reiche. „Das war die eigentliche sexuelle Revolution.“ In der Bundesrepublik war die Pille 1961 zu haben, in der DDR vier Jahre später. Der Ost-West-Vergleich ist bei diesem Thema besonders interessant: „Die DDR war, was die Rolle der Frau angeht, weiter“, stellt Reiche fest. Doch auch die SED formulierte 1965 den Anspruch: „Unsere DDR ist ein sauberer Staat.“ Prostitution und Pornografie waren keineswegs erwünscht.

Das Haus der Geschichte wird jeden Tag von vielen Schulklassen besucht - für sie dürfte diese Ausstellung das denkbar höchste Kreischpotenzial bieten. Man kann Schubladen öffnen mit Aufschriften wie „Jungfräulichkeit“, „Verrichtungsbox“ und „Playboy“, und es sind sehr viele Geschlechtsteile zu sehen. Gleichzeitig, sagt ein Museumsmitarbeiter, sei aber natürlich alles wissenschaftlich fundiert. „Und seriös.“

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