Karneval, Ballermann und Halligalli: „O'zapft is“ deutschlandweit

Köln/Frankfurt (dpa) - „Ich bin geblendet von soviel Schönheit“, schmettert der junge Schlagersänger ins Mikrofon und zeigt grinsend seine unnatürlich weißen Zähne. Die Menge vor der Bühne jubelt begeistert.

Karneval, Ballermann und Halligalli: „O'zapft is“ deutschlandweit
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Alle tragen Tracht. Knielange Dirndl, wohin das Auge blickt, eng geschnürte Dekolletés, Flechtfrisuren, Karohemden, Lederhosen und nackte Männerwaden. Als der braun gebrannte, blonde Schlagerbarde mit modischer Undercut-Frisur „Viva Colonia“ von den „Höhnern“ anstimmt, klettern die Oktoberfest-Besucher in Köln auf die Bänke und singen voller Inbrunst mit.

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Bei der RTL-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ wurde Norman Langen vor drei Jahren entdeckt. An diesem Abend ist er einer der Einheizer im Kölner Bayernzelt. „Oktoberfest im Rheinland, das ist eine Mischung aus Karneval und Ballermann“, sagt die 25-jährige Nathalie aus Bergheim bei Köln.

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Halb Deutschland scheint in diesen Tagen die bayerische Zusammenkunft zu kopieren und zu zelebrieren. „O'zapft is“ heißt es unter anderem in Berlin am Alexanderplatz, in der Fischauktionshalle in Hamburg, am Düsseldorfer Rheinufer und im Dortmunder Revierpark. Auch in Frankfurt, Chemnitz, Dresden und Saarbrücken muss niemand auf „Musi und Maß“ verzichten. Die Feste gehen zum Teil - anders als in München - noch weit bis in den Oktober hinein.

Die Frankfurter Commerzbank-Arena wollen die Veranstalter an 21 Abenden mit insgesamt etwa 60 000 Wiesn-Besuchern füllen. Laut Homepage ist das Fest so gut wie ausverkauft. Musiker wie Mickie Krause, Michael Wendler, Marianne und Michael treten auf. Einer der beliebtesten Cover-Songs ist auch hier: „Atemlos durch die Nacht“ von Helene Fischer.

Schlagersänger Norman Langen ist in Köln derweil bei einem seiner neuesten Hits angekommen. „Ich schick dich in die Wüste und dann lauf ich hinterher“, schallt es aus den Lautsprecherboxen. Der 29-Jährige klatscht begeistert in die Hände und ruft ins Mikrofon: „Es ist so heiß hier!“ Unter ihm vor den Bierbänken kocht die Stimmung. Dutzende Besucher tanzen zu dem Disco-Fox-Hit. Männer in Lederhosen wirbeln Frauen in Dirndln durch die Gänge. Jede Menge fremde Füße werden getroffen, Bier verschüttet. Von der Decke tropft Kondenswasser.

„Was für eine Mords-Gaudi“, ruft Dirk aus Düren (47) bei Köln gegen die laute Musik an. „Nur die nette Blonde vom Nachbartisch, die mit der Flechtfrisur und dem pinkfarbenen Dirndl, die will mich nicht.“ Eigentlich sehen im Kölner Zelt alle gleich aus. In der Frankfurter Commerzbank-Arena ist es nicht anders: Überall moderne Interpretationen des Trachtenkleids, meist in knalligen Tönen. Besonders beliebt ist eine giftgrüne Schürze zum rosa-farbenen Dirndl.

Das Amt für rheinische Landeskunde in Bonn findet die Uniformität nicht verwunderlich. „Dirndl oder auch Trachten insgesamt stehen für Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit“, sagt Kulturwissenschaftlerin und Ritualforscherin Katrin Bauer. „Gleichzeitig wird damit ein Gemeinschaftsgefühl ausgedrückt.“ In den vergangenen 100 Jahren seien Dirndl enger, schicker und bunter geworden, Zöpfe alltagstauglich, erklärt die Expertin. Im Vergleich zu anderen Traditionsveranstaltungen wie Schützenfesten biete die Wiesn einen Vorteil: „Das Oktoberfest ist eine große Party, für die man nicht in einen Verein eintreten muss. Und ob in Bayern oder anderswo: Fest, Musik und Kleidung - alles läuft überall gleich ab.“

Und was sagen die Bayern zu all den Kopien ihrer Traditionsveranstaltung? „Wir sind da zwiegespalten“, sagt Manfred Newrzella, Geschäftsführer beim Bayerischen Brauerbund in München. Die Standesvertretung hat es sich zur Aufgabe gemacht, über die Einhaltung des Brauchtums zu wachen. „Wichtig ist, dass unser Volksfestcharakter bestehen bleibt. Aber vielerorts verkommt unser Fest ja nur noch zum Halligalli-Event.“

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