Mit Online-Stolpersteinen gegen das Vergessen

Hamburg (dpa) - „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, sagt der Künstler Gunter Demnig. Seit 1995 erinnert er an die Opfer des Nationalsozialismus, indem er vor ihrem letzten Wohnort kleine Gedenktafeln aus Messing in den Boden einlässt.

„Hier wohnte...“, steht auf den zehn mal zehn Zentimeter großen Tafeln, dann Name und Geburtsdatum des Opfers und Informationen zu Deportation und Ermordung. „Mit den Steinen vor den Häusern wird die Erinnerung an die Menschen lebendig, die einst hier wohnten“, ist der Kölner Künstler überzeugt.

Damit noch mehr Menschen von den Schicksalen der ermordeten Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und anderen Verfolgten des Nazi-Regimes erfahren, hat die Hamburger Werbeagentur Jung von Matt auf Grundlage von Google-Maps und Google Streetview alle 32 000 Stolpersteine in einer digitalen Karte erfasst. So „stolpern“ Jugendliche und junge Erwachsene dort, wo sie einen Großteil ihres Alltags verbringen - online. Unter www.stolpersteine-online.com finden sich alle bisher verlegten 4075 Hamburger Stolpersteine, weitere deutsche Städte sollen folgen. „Das Ziel der Kampagne ist es, möglichst viele Menschen zum Mitmachen und zum Erinnern zu bewegen“, sagt Dörte Spengler-Ahrens von Jung von Matt.

So kann man erfahren, dass im Heimweg 1, im noblen Stadtteil Hamburg-Harvestehude, gleich die komplette Familie Rosenstein von den Nationalsozialisten erst nach Lodz deportiert und dann ermordet wurde: Mutter Irma (geb. 1896), Vater Otto (geb. 1900) und die Kinder Leah Lieselotte (geb. 1929) und Ferdinand (geb. 1937). Dank der Initiative „Stolpersteine in Hamburg“ der Landeszentrale für politische Bildung gibt es über einige der Ermordeten noch mehr Informationen wie Biografien und Fotos. Bereits seit 2008 werden die Gedenktafeln in Hamburg auf der Smartphone-Applikation „Stolpersteine in Hamburg“ erfasst und mit Daten im Internet verknüpft - so können Informationen bequem unterwegs gelesen werden.

In der Hallerstraße 76 wohnte die Familie Carlebach. Vater Joseph Carlebach (1883-1942) war Rektor der Talmud-Tora-Realschule und Oberrabbiner an der Bornplatzsynagoge. Im Dezember 1941 wurden das Ehepaar Carlebach und seine drei jüngsten Töchter Ruth, Noemi und Sara ins Konzentrationslager Jungfernhof in der Nähe von Riga deportiert und einige Monate später erschossen. Der jüngste Sohn Salomon überlebte die Konzentrationslager, die älteren fünf Kinder hatten die Eltern rechtzeitig in Sicherheit nach England geschickt. Bilder und Briefe der Familie können über die Webseite „Streiflichter aus jüdischer Vergangenheit in Hamburg“ abgerufen werden.

Der Stolperstein für Anita Rée (1885-1933) liegt in Fontenay 11. Durch einen Link auf Wikipedia erfährt der Besucher, dass sie eine bedeutende deutsche Malerin der Avantgarde war. Max Liebermann erkannte ihr Talent und riet ihr zur Fortsetzung ihrer Ausbildung als Malerin. 1932 verließ sie Hamburg und zog nach Sylt. Schon seit längerer Zeit war die Künstlerin durch Anfeindungen und persönliche Enttäuschungen vereinsamt. All dies trieb sie am 12. Dezember 1933 in den Selbstmord. An ihre Schwester Emilie schrieb sie: „Welchen Sinn hat es - ohne Familie und ohne die einst geliebte Kunst und ohne irgendwelche Menschen - in so einer unbeschreiblichen, dem Wahnsinn verfallenen Welt weiter einsam zu vegetieren?“

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