Mobbing-Drama „Bully“ bewegt Amerika

San Francisco (dpa) - Die Hauptdarsteller in dem Film „Bully“ haben keine Erfahrung als Schauspieler, doch sie kennen sich bestens mit der „to bully“-Materie aus. Es ist das englische Wort für Mobbing.

In der Doku, die in den USA für Schlagzeilen sorgt, geht es um die jungen Opfer von brutaler Drangsalierung durch Mitschüler, teils mit tödlichen Folgen. „Die nennen mich Fishface (Fischgesicht), doch es macht mir nichts aus“, erzählt der 12-jährige Alex aus dem US-Staat Iowa mit tapferer Stimme. Die mit versteckter Kamera gefilmten Szenen im Schulbus, in denen der Junge mit flacher Nase und vorstehendem Mund von seinen Mitschülern gequält wird, zeigen jedoch ein anderes Bild.

Da ist die lesbische Schülerin Kelby, die seit ihrem Coming-Out im Klassenzimmer gemieden oder als Schwuchtel beschimpft wird. Ein Überwachungsvideo zeigt die 14-jährige Ja'Meya, die nach endlosen Hänseleien im Schulbus eine Pistole zückt. Sie wollte den Bullys nur mal Angst einjagen, erzählt das schwarze Mädchen im Jugendgefängnis.

Der vielfach prämierte Film von Regisseur Lee Hirsch beginnt mit den Späßen des kleinen Tyler, die sein Vater im US-Staat Georgia mit einer Videokamera filmte. Mit 17 Jahren erhängte sich der Junge im Haus seiner Eltern. Auch Ty, der sich mit 11 Jahren das Leben nahm, tritt in „Bully“ nur noch posthum auf. Seine Eltern im ländlichen Oklahoma wurden durch Schock und Trauer zu Aktivisten, die mit Kundgebungen vor den Gefahren warnen.

„Bully“ hat Mobbing in den USA zum heißen Thema gemacht. Am Freitag wurde der Film im Weißen Haus gezeigt. Zuvor hatte sich US-Präsident Barack Obama für zwei Gesetzesvorschläge zum Schutz von Schülern vor Diskriminierung und Mobbing an US-Schulen starkgemacht. In den USA sind nach Regierungsangaben jedes Jahr schätzungsweise rund ein Drittel aller Kinder im Schulalter Schikanen ihrer Mitschüler ausgesetzt - das sind etwa 13 Millionen Opfer. Diese Zahl nennt auch The Bully Project, eine Initiative der „Bully“- Filmemacher, die damit an Schulen Aufklärung betreiben wollen.

Schon Wochen vor dem „Bully“-Filmstart Ende März sorgte die Doku für Schlagzeilen. Wegen Schimpfwörtern und Kraftausdrücken wollte die US-Behörde MPAA den Film mit einer strikten Altersauflage belegen. Damit hätten Jugendliche unter 17 Jahren „Bully“ nur in Begleitung Erwachsener sehen können. Über 500 000 Menschen, darunter die Hollywood-Stars Johnny Depp und Meryl Streep, unterzeichneten die Petition einer Schülerin für eine Senkung der Altersgrenze. Am Ende gaben die Zensoren nach, jetzt ist der Film ab 13 Jahren freigegeben.

Pop-Star Justin Bieber empfahl „Bully“ seinen Twitter-Fans; Modeschöpfer Tommy Hilfiger entwarf ein T-Shirt, der Verkaufserlös soll dem Projekt zufließen. Lady Gaga trat unlängst an der Harvard-Universität auf - nicht als Pop-Star, sondern als Anti-Mobbing-Aktivistin mit ihrer Stiftung Born This Way.

Mobbing-Fälle sind häufig in den Nachrichten, doch selten hat ein Film das Problem so herzzerreißend und persönlich nahe gebracht. Im Kreis seiner Familie ist der 12-jährige Alex ein ganz normaler Junge, doch schon auf dem Schulweg beginnen die Quälereien. Im Schulbus wird der Junge mit dem „Fishface“ mit Fäusten und Worten malträtiert. Die versteckte Kamera hält die Beschimpfungen und Drohungen fest, die auf den scheuen, wehrlosen Teenager niederprasseln.

Tylers Mutter erzählt, wie sie die Leiche ihres Sohnes fand, der sich in einem Wandschrank erhängt hatte. Das Zimmer ist nun „Einsatzzentrale“ der Familie für ihre Kampagne zum Kampf gegen Mobbing. Der Film zeigt gequälte Schüler, ahnungslose Eltern und hilflose Lehrer, die oft mit Worten beschwichtigen, statt echte Hilfe zu leisten. Nur Betroffene kommen zu Wort, auf Experten, Statistiken und Lösungsvorschläge verzichten die Filmemacher.

„Eine Dokumentation, die so bildhaft wie ein Horrorfilm und so herzzerbrechend wie ein Oscar-würdiges Drama ist“, lobte der Filmkritiker der Zeitschrift „Time“. Alle Eltern, Lehrer und Teenager in Amerika sollten den Film sehen, befand die „New York Daily News“. Einen Kinostart-Termin für „Bully“ in Deutschland gibt es noch nicht.

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