Morsbroich feiert die Konzeptkunst

Leverkusen (dpa) - Die Idee des Künstlers war super, der Aufwand riesig: Ein kleines Trinkglas soll Mineralwässer aus allen 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union enthalten.

Morsbroich feiert die Konzeptkunst
Foto: dpa

Da steht das Glas nun auf einem winzigen Holzregal im Leverkusener Museum Morsbroich.

Morsbroich feiert die Konzeptkunst
Foto: dpa

Das Glas des jungen libanesischen Künstlers Charbel-joseph H. Boutros ist Konzeptkunst. Das ist eine in den 60er Jahren entstandene Kunstrichtung, die ein Kritiker einmal als „Nervenzusammenbruch der Moderne“ beschrieben hat. Denn bei der Konzeptkunst ist die Idee wichtiger als das Objekt. Das Kunstwerk kann sogar ganz verschwinden. Manchmal gibt der Künstler nur Handlungsanweisungen, die andere dann ausführen müssen.

In diesem Fall waren es Museumsmitarbeiter, die wochenlang quer durch Europa telefonierten, um in jedem Land ein Mineralwasser zu finden und nach Leverkusen liefern zu lassen. Boutros goss vor Ort die 28 Wässerchen in Flaschen, aus denen das Glas auf dem Regal immer frisch befüllt wird. „Dieses unscheinbare Glas reizt“, sagt Kuratorin Stefanie Kreuzer. Man hätte doch irgendein Wasser reinfüllen können. Aber es mussten 28 Mineralwässer aus 28 Ländern sein. „Es war ein gewaltiger Prozess“, sagt sie.

Das Museum Morsbroich, das immer wieder mit hintersinnigen Ausstellungen von sich reden macht, nähert sich der Konzeptkunst in der Schau „more Konzeption Conception now“ auf ungewöhnliche und humorige Weise. Das Museum erinnerte sich an das Jahr 1969, die Zeit der Studentenrevolten, als in Morsbroich eine der ersten Museumsausstellungen konzeptueller Kunst in Europa überhaupt gezeigt wurde. Marcel Broodthaers, John Baldessari, Sol Lewitt, Bruce Nauman, Gilbert & George - die Speerspitzen der Kunstavantgarde holte der Galerist und Kurator Konrad Fischer damals nach Deutschland und stellte sie in dem ehemaligen barocken Lustschloss aus.

Ein Foto von damals zeigt vier auf eine weiße Wand aufgemalte schwarze Bilderrahmen mit der Aufschrift „Bild“. „Wo geht es bitteschön zur Kunstausstellung?“, soll ein verwirrter Besucher damals gefragt haben. „Zum Ansehen gibt es hier gar nichts mehr“, schrieb ein Kritiker. An den Wänden hingen nur Papierchen mit Anweisungen, und aus einem Sessel laufe ständig Wasser in einen Suppenteller.

46 Jahre später stellt das Museum die dritte Generation von Konzeptkünstlern aus. Denn: „Konzeptkunst ist die einzige Kunstrichtung, die seit 50 Jahren ununterbrochen besteht und ihre Bedeutung fortgesetzt hat“, sagt Direktor Markus Heinzelmann.

23 Künstler zeigen die Idee von Kunst heute. Zum Beispiel Bildbeschriftungen ohne Bilder. Die kleinen Kärtchen hat die Künstlerin Maria Anwander in Museen und Galerien mitgehen lassen und sie nun an die Wand geklebt. Das könnte ein ironischer Seitenhieb darauf sein, dass Besucher oft zuerst auf die Bildbeschriftung schielen, bevor sie sich überhaupt das Kunstwerk ansehen.

Jonathan Monk präsentiert eine Büste mit abgeschlagener Nase - der Vorschlaghammer hängt daneben an der Wand. David Horvitz lädt dazu ein, einen Euro in ein Glas zu werfen. Er werde dafür eine Minute an den Spender denken. Den genauen Zeitpunkt werde er per Mail mitteilen. Adresse bitte beim Museumspersonal hinterlassen.

Ziemlich viele Anweisungen stehen hinter der Performance von Juergen Staack. Im Obergeschoss unterhalten sich zwei auf niedrigen Sockeln stehende Gehörlose lautlos in Gebärdensprache über den Besucher. Das wird gefilmt und simultan ins Erdgeschoss übertragen, wo ein Dolmetscher übersetzt. Das Problem: Der Besucher bekommt die Übersetzung nicht mit. Er wird nie erfahren, worüber die beiden sich unterhalten oder sogar mokiert haben. Und wer ist eigentlich das Objekt, und wer der Betrachter in Staacks „Kunstwerk“?

„Es gibt eine Realität, die man wahrnimmt“, sagt der 36-jährige Staack. „Aber man kann sich auch mit einer Situation zufriedengeben, die eine Realität schafft, die nicht ganz aufzuschlüsseln ist.“ Staack hat übrigens bei dem Fotokünstler Thomas Ruff studiert. Mit Fotografie hat seine Performance „Silent Talk“ nichts mehr zu tun. Staack wirft so ziemlich alle eingefahrenen Vorstellungen von Kunst über den Haufen.

Die Ausstellung in Morsbroich läuft von Sonntag bis zum 19. April.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort