Eine Flasche Licht geht um die Welt

Mumbai (dpa) - Licht ist in vielen Slum-Hütten Mangelware. Derzeit verbreitet sich ein einfacher Gedanke, wie es in den Armensiedlungen überall auf der Welt hell werden kann: mit einer Plastikflasche im Dach.

Der winzige Waschraum von Purshottam Devji Solanki und seiner 12-köpfigen Familie hat keine Fenster. Trotzdem sieht man hier in dem Slum in Mumbai (früher Bombay) beim Duschen die Seife, findet seine Zahnbürste und kann das Geschirr abwaschen. Denn aus dem Wellblechdach ragt zur Hälfte eine mit Wasser gefüllte Plastikflasche, die das Sonnenlicht draußen einfängt und den Innenraum so hell erleuchtet wie eine 55-Watt-Glühbirne.

„Bisher haben wir eine Lampe verwendet, nun brauchen wir sie nicht mehr“, sagt Solanki. Zwar habe er in seinem Slum Chinchpokli in der indischen Millionenstadt Strom, doch sei die Rechnung für ihn schwer zu schultern. Außerdem fällt der Strom oft aus, dann bleiben die eng aneinander gebauten Hüttchen, zwischen die kaum jemals ein Sonnenstrahl fällt, dunkel. „Die Nachbarn haben die Flasche alle gesehen, sie finden es gut - und wollen auch möglichst schnell eine“, sagt der alte Mann.

Installiert hat die Solar-Flaschen-Glühbirne eine Gruppe Studenten vom Indian Institute of Technology (IIT), die bei einer Projekt-Recherche im Internet zufällig auf die Idee mit dem Namen „A Liter of Light“ (ein Liter Licht) gestoßen waren. Erdacht hatte das Konzept vor zehn Jahren der Brasilianer Alfredo Moser. Heute werden so schon 200 000 Haushalte weltweit erleuchtet. „Wir dachten alle: Das müssen wir sofort auch in Indien machen“, sagt der Materialwissenschaftler Vatsal Shah.

Die Rezeptur ist simpel, wie der 22-Jährige schildert: Sie füllen eine Pet-Flasche randvoll mit möglichst sauberem Wasser und dem Bleichmittel Chlor, damit das Wasser keimfrei und klar bleibt. Dann sägen sie ein Loch ins Dach, stecken die Flasche rein und dichten gut ab. Bis zu fünf Jahre leuchtet die Flasche - viel heller als ein Glasfenster oder ein Loch. Viel schwieriger sei es gewesen, die Menschen in den Slums zu überzeugen. „Am Anfang sagten sie immer: Nein, nein, das wollen wir nicht.“

Doch mit der Hilfe lokaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs), denen die Menschen vertrauen, hätten sie zwölf Pilot-Flaschen in verschiedenen Gegenden Mumbais installieren können. In Bandra West steckt eine sogar in einem Gebetsraum einer Kirche. „Und wir organisieren Workshops, bei denen die Menschen lernen, wie es geht - und es dann selbst machen können.“

Die Bewegung finde immer mehr Mitstreiter überall auf der Welt, sagt René Eber, Präsident des Vereins „Liter of Light“ in der Schweiz. „Es ist aber nicht eine große Organisation mit einer globalen Strategie“, betont er, „sondern eine Bewegung mit vielen kleinen unabhängigen Organisationen.“ Jeder bringe so viel ein, wie er könne.

Die Schweizer machen vor allem Pressearbeit, schulen die Teams und treiben Gelder ein. Gerade waren sie in Mumbai, um den Studenten bei der Gewinnung von Sponsoren und technischen Details zu helfen. „Wir sind schon nach Kolumbien und Spanien geflogen, haben außerdem Anfragen aus Ägypten, Paris, Argentinien und Chile“, zählt der Student der Betriebswirtschaft auf. „Seit einem Jahr fängt die Idee richtig an, sich auszubreiten.“

Das ist auch Illac Diaz geschuldet. Der Philippino hat am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in den USA studiert und war dort auf den Erfinder Alfredo Moser getroffen. Seitdem hat seine MyShelter Foundation Zehntausende Hütten rund um Manila beleuchtet. Sie hat kleine Unternehmer ausgebildet, die in den Armensiedlungen leben und gegen einen geringen Betrag weitere Flaschen installieren. „Jeder denkt, große Dinge müssten von großen Leuten gemacht werden“, sagte Diaz im Oktober auf einer TEDx-Veranstaltung in Rio. Dabei seien die Ideen doch das wirklich Große.

Diaz betont, dass keine Spezialisten notwendig seien, sondern jeder Mensch Licht aus einer Flasche schaffen könne - die ja eigentlich als Müll gelte. Dabei werde außerdem jede Menge klimaschädliches Kohlendioxid gespart. „Das ist grüne Technolgie, die den Menschen gehört, jeder kann sie besitzen.“

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