Der Gärtner von Versailles

Joël Cottin pflegt nicht nur den schönsten Schlosspark der Welt, sondern auch das Erbe des großen André Le Nôtre.

Paris. "Hmm!" Joël Cottin schließt die Augen und atmet den Duft der Orangenblüten ein. Neben ihm greift ein Gabelstapler unter einen grünen Holz-Pflanzkasten und zuckelt mit leise brummendem Motor davon.

Von morgens bis abends tun sie das jetzt, 14 Tage lang, bis endlich der allerletzte der 1.500 Bäume draußen in der Orangerie seinen Platz gefunden hat. "Er liebte Orangen so sehr, dass er sie sogar in silbernen Vasen in den Spiegelsaal holte", erzählt Joël Cottin.

"Er", das ist der Mann, der das Gesamtkunstwerk Versailles samt seiner überbordenden Gartenpracht erschaffen ließ: Ludwig XIV., der Sonnenkönig, beauftragte den berühmten Landschaftsplaner André Le Nôtre mit der Gestaltung des Schlossgartens. Heute verwaltet Joël Cottin (53) seine Erbe.

Seit 1996 ist der Bretone Chef-Gärtner von Versailles. Ein bodenständiger Menschenschlag. Gockelhaftes "Der-Garten-bin-ich"-Gehabe ist seine Sache nicht. Der Star ist ohnehin der Garten. Zusammen mit dem Schloss lockt der "Jardin à la française", die atemberaubende Schöpfung von Le Nôtre mehr als zehn Millionen Besucher im Jahr an. "Er war ein Magier des Raums", sagt Cottin über seinen "Ur-Vorgänger".

In diesen Tagen krempeln Cottin und seine 50 Mitarbeiter die Ärmel hoch, um Versailles wieder herauszuputzen. 260.000 Pflanzen aus eigener Produktion, genug für eine ganze Neubausiedlung, warten darauf, in die riesigen Beete gesetzt zu werden. Geranien und Petunien, violettes Eisenkraut und weiße Hundskamille, Dahlien in rot, gelb und weiß sorgen für ein Fest der Farben und Düfte.

"Die Orangerie ist mein Lieblingsort", sagt Joël Cottin. "Kathedrale" nennt er die riesige Halle. 170 Meter lang, 13 Meter hoch und breit, aus hellem Sandstein und Licht durchflutet, gleicht sie wirklich einem riesigen Kirchenschiff. Von neuzeitlichen Erfindungen wie Aufsitzmähern abgesehen, ist die Zeit hier stehen geblieben.

Cottin schwingt sich ans Steuer seines Renault und kurvt mit schlafwandlerischer Sicherheit durch sein Gartenreich. Es geht kilometerweit über breite Achsen und schmale Diagonalen, vorbei an endlosen Baumreihen und verziertem Gitterwerk.

Weil sich der Garten von Versailles als Verlängerung des Palastes versteht, richteten sie auch unter freiem Himmel grüne Tanzsäle und Theater ein. Am liebsten durchmaß der "Allerchristlichste König der Franzosen" sein von 2.000 Arbeitern gepflegtes Gartenreich zu Fuß. Cottin: "Erst Sekunden, bevor der König um die Ecke bog, drehten sie die Fontänen auf; kaum hatte er sich abgewendet, war das Wasserspiel aus."

Dass sich eifrig fotografierende Hobbygärtner aus aller Welt von den unzähligen Versailler Finessen inspirieren lassen, verfolgt der Chefgärtner mit großer Wonne. Über den oft gehegten Traum vom "pflegeleichten" Garten muss er schmunzeln. "Gartenarbeit ist doch nicht nur Plackerei, sondern eine sehr erholsame und kreative Angelegenheit."

Trotz knapper Kassen sei es ihm gelungen, dass Erbe des großen Le Nôtre "ein klein wenig verschönert" zu haben. "Unser Garten soll so sein wie ein großes Theater: der Vorhang öffnet sich, und den Besucher erwartet ein prachtvolles Spektakel."

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