Ein Türke zwischen den Welten

Am Montag erfährt Ali Kilic, ob er den Einzug ins türkische Parlament geschafft hat. Der 42-Jährige lebt seit 25 Jahren in Deutschland und ist Mitglied der SPD.

<strong>München/Istanbul. An dem Tag nach dem 11. September 2001 ging Ali Kilic in eine Kirche in München. Er betete für die Opfer des Terroranschlags. "Wir haben einen türkischen Moslem unter uns", sagte der Pfarrer und alle schauten sich um. "Sie suchten nach einem Schwarzhaarigen, aber ich bin ja blond", erzählt Kilic. "Viele in der Gemeinde schienen zu denken: ,Der sieht aber nicht so aus’." Es sind Momente wie dieser, die dem Türken auch nach 25 Jahren in Deutschland vermitteln: Du bist irgendwie anders. In den vergangenen Tagen war Kilic ständig in Fernsehshows zu Gast - in der Türkei. Heute wird der 42-Jährige erfahren, ob er für die Republikanische Volkspartei (CHP) in das türkische Parlament einzieht. Es wird knapp. Kilic steht in Istanbuls größtem Wahlbezirk auf Platz 13, bei der letzten Wahl holte die Partei dort elf Sitze.

Sein großes Vorbild ist Johannes Rau

Was bewegt einen Mann, der sich mehr als die Hälfte seines Lebens für die Integration seiner Landsleute hier eingesetzt hat und SPD-Mitglied ist, in Istanbul Politik zu machen? "Ich möchte der Münchner Abgeordnete für das türkische Parlament sein und einbringen, was ich von deutschen Politikern gelernt habe."

Mittlerweile hat er sich in München ein Familienunternehmen aufgebaut. Genaueres will er nicht verraten. "Aber ich kann meine Familie selbst versorgen", betont er. Da ist noch immer dieser Rechtfertigungsdrang. Einem Bruder, der die doppelte Staatsangehörigkeit hat, sagte ein Beamter einmal: "Es ist egal, was in deinem Pass steht: Solange du türkisches Blut hast, wirst du nie ein Deutscher sein." Der Enthusiasmus in Kilic ist für einen Moment verschwunden. "Das tut weh". Und dennoch: "München ist und bleibt meine Heimat", sagt er.

Dort leben seine Eltern, seine Frau, die er über eine deutsch-türkische Theatergruppe kennen gelernt hat und seine drei Kinder. Seine älteste Tochter macht gerade auf einer katholischen Schule ihr Abitur. "Wir leben mit zwei Sprachen, zwei Kulturen und zwei Religionen", sagt Kilic. Zu seiner "Familie" zählt er auch Christian Ude, den Oberbürgermeister von München (SPD). "Ich kannte ihn schon als Kleinkind in Anatolien. Ude war damals Journalist und hat Fotos von unserer Familie gemacht", erzählt Kilic.

Was er über das Miteinander von Türken und Deutschen sagt, klingt manchmal naiv. "Ich fordere die Menschen auf: Begrüßen Sie den nächsten Ausländer, der Ihnen begegnet, warm." Müssen also die Deutschen den ersten Schritt machen? "Nein. Die Türken müssen zuerst die deutsche Sprache lernen. Sonst kann man nicht miteinander kommunizieren."

Engagement Nach dem Brandanschlag von Solingen 1993 gründete Ali Kilic die deutsch-türkische Freundschaftsföderation. Mittlerweile gibt es Vereine unter anderem in München und Solingen. Kilic ist Vorsitzender des Bundesdachverbands.

Kulturwochen Seit 2001 organisiert Kilic jedes Jahr die deutsch-türkischen Kulturwochen in München.

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