Heinz Schön, Überlebender der Gustloff: „Die Entfesselung der Hölle“

Interview: Heinz Schön überlebte den Untergang der „Wilhelm Gustloff“ heute vor 63 Jahren. Die Aufarbeitung der Katastrophe wurde zur Lebensaufgabe.

Düsseldorf. Herr Schön, Sie haben als 18-Jähriger den Untergang des Flüchtlingsschiffs "Wilhelm Gustloff" in der Ostsee überlebt, bei dem mehr als 9000 Menschen starben. Warum waren Sie an Bord?

Schön: Mein Jugendtraum war, auf einem großen Schiff zur See zu fahren und die Welt zu sehen. Ich war aber nur für die Verwaltungslaufbahn bei der Kriegsmarine tauglich. Also machte ich eine Ausbildung bei der Handelsmarine und wurde 1944 als Zahlmeister-Assistent auf die "Gustloff" kommandiert.

Wie war die Situation auf dem Schiff vor dem Untergang?

Schön: Die Menschen heute können sich gar keine Vorstellung davon machen, welche Zustände auf dem Schiff herrschten. Es war für 1500Passagiere gebaut worden und mit mehr als 10000 belegt. Aber die Menschen glaubten sich in Sicherheit, weil noch nie ein Flüchtlingsschiff untergegangen war. Wer einen Platz bekam, war gerettet.

Wie präsent sind Ihnen die Ereignisse vom 30.Januar 1945?

Schön: Eine solche Katastrophe vergessen Sie nie. Als die drei Torpedos einschlugen, ging das Licht sofort aus, dann war es für Sekunden atemberaubend still, bis die Schreie begannen. Es herrschte das absolute Chaos. 10000 Menschen versuchten alle auf einmal, an Deck zu kommen. Das war bereits in der Schieflage und vereist, weil es draußen 18 Grad unter Null war. Es herrschte Schneetreiben.

Wie konnten Sie sich vom Schiff retten?

Schön: Ich bin letztlich von einer Welle von Bord gerissen worden. Das Meer war voller Menschen. Ein Mann hat mich dann in ein Floß gezogen. Das war mein Lebensretter. Ich habe ihn 1997 nach langem Suchen wiedergefunden. Nach einem Vortrag in Freiburg kam er zu mir und sagte: "Ich habe sie gerettet."

Sie haben Ihr ganzes Leben diesem Thema gewidmet. Warum hat Sie der Untergang nie losgelassen?

Schön: Ich bin danach auf ein anderes Schiff kommandiert worden, habe auf elf weiteren Fahrten Flüchtlinge über die Ostsee gebracht und 22 Mal das Grab der Gustloff überfahren. Diese Konfrontation mit den Flüchtlingen hat mich so nachhaltig beeindruckt, dass ich mir vornahm, diese Geschichte aufzuarbeiten.

Das ZDF drehte einen Zweiteiler über den Untergang, an dem Sie als Experte mitgearbeitet haben. Warum rückt das Flüchtlingsdrama erst jetzt in das öffentliche Interesse?

Schön: Es war lange nicht opportun, Deutsche auch als Opfer des Weltkrieges darzustellen. Jetzt wird diese Geschichte langsam aufgearbeitet. Auch weil die Generation, die es miterlebt hat, bald nicht mehr da sein wird.

Sie haben einmal gesagt, nicht die Torpedierung der Gustloff, sondern der Krieg sei ein Verbrechen gewesen. Ist der Film auch eine Mahnung?

Schön: Ich bin dem Russen, der die Torpedos abgeschossen hat, mehrmals begegnet und konnte ihm keinen Vorwurf machen. Sich mit der größten Schiffskatastrophe der Geschichte zu befassen, heißt auch, das Bewusstsein zu schärfen, was Krieg bedeutet. Es ist die Entfesselung der Hölle gegen wehrlose Frauen und Kinder. Der Film ist daher ein Anti-Kriegs-Film.

Untergang Die "Gustloff" wurde gegen 21Uhr von drei Torpedos getroffen, die vom sowjetischen U-Boot "S13" abgefeuert worden waren, und sank. Mehr als 9000 Menschen starben, über die Hälfte davon waren Kinder.

Heinz Schön Der heute 81-Jährige schrieb zahlreiche Bücher über die Flucht über die Ostsee 1944/45 und besitzt das größte private Archiv zu diesem Thema.

Literatur Heinz Schön, "Die letzte Fahrt der Wilhelm Gustloff", Motorbuchverlag

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