Interview mit Schauspielerin Anja Kling: "Ich bin ein Kind der DDR"

Düsseldorf. Wandlungsfähigkeit ist Ihre Stärke. Ob in Komödie, Kinderfilm oder Krimi - Anja Kling überzeugt in jeder Rolle. In dem Psychodrama „Es ist nicht vorbei“ (ARD 9.11., 20.15 Uhr) durchlebt sie mit den TV-Zuschauern ein dunkles und kaum bekanntes Kapitel der jüngsten deutschen Geschichte, das auch mit dem Fall der Mauer noch nicht abgeschlossen ist.

Sie spielt eine ehemals politische Gefangene der DDR, die im berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck unter grausamen Haftbedingungen Traumatisches erlebt hat und Jahre später in ihrem neuen Leben plötzlich wieder mit der Vergangenheit konfrontiert wird.

Was hat Sie an dem realen Hintergrund dieses fiktiven Spielfilms besonders berührt? Anja Kling: Mich hat schockiert, dass in Hoheneck unschuldige Mädchen und Frauen inhaftiert waren, die absolut nichts verbrochen hatten. Die nur überlegt haben, die DDR zu verlassen. Die meisten dieser Frauen haben noch nicht mal einen Fluchtversuch unternommen, sondern nur einen Ausreiseantrag gestellt. Und wurden dann wie Kriminelle behandelt.

Einige der Täter von damals führen heute ein ganz normales Leben . . .
Kling: Ja, ist das nicht erschreckend? Deshalb ist das Thema auch so wichtig. Man darf nichts totschweigen. Die Peiniger von damals leben zwischen uns. Es gibt ehemalige Gefängnisärzte, die heute unbehelligt als Mediziner praktizieren. Weil man ihnen keine Straftaten nachweisen kann oder weil ihre Taten verjährt sind.

Sie sind selbst in der DDR aufgewachsen. Wie waren Ihre Erfahrungen dort?
Kling: Ich bin ein Kind der DDR. Ich hatte eine glückliche und behütete Kindheit, ohne politischen Drill mit schlimmen Auswirkungen selbst zu erleben. Und doch sind in diesem, meinem Land Dinge passiert, vor denen man die Augen nicht verschließen darf.

Sind Sie deshalb, fünf Tage vor dem Mauerfall, in den Westen geflüchtet?
Kling: Als die ehemalige Tschechoslowakei die Grenze zur DDR aufgemacht hat, dachten wir, dass die DDR-Regierung irgendwie darauf reagieren würde. Dass man bald gar nicht mehr in die Tschechoslowakei einreisen dürfte und wir dann noch mehr in einem großen Gefängnis ausharren müssten. Man bekam ohnehin schon kein Visum mehr. Das machte uns Angst.

Waren schon andere Menschen aus Ihrem Freundeskreis drüben?
Kling: Ja. Die meisten unserer Freunde war bereits weg. Wir hatten plötzlich das Gefühl, bald geht das Licht ganz aus und wir bleiben als Letzte übrig. Wir waren ja noch jung. Meine Schwester Gerit war 24 und ich 19. Wir wollten die Welt sehen. Gemeinsam mit unseren Freunden sind wir dann in die Bundesrepublik über die Grenze zur Tschechoslowakei geflüchtet.

Wie hatten Ihre Eltern darauf reagiert?
Kling: Wir hatten ihre volle Unterstützung. Vor allem meine Mutter hatte schon Jahre zuvor immer wieder auf uns eingeredet, dieses Land zu verlassen. Sie wollte nicht, dass wir so eingesperrt leben müssen. Und das rechnen wir ihr bis heute sehr hoch an.

Tatsächlich?
Kling: Ja. Weil das wohl das größte Zeichen von Liebe ist, wenn man zu seinen Kindern sagt, geht lieber weg, damit es euch besser geht. Auch wenn man seine Kinder vielleicht niemals wiedersieht. Seit ich selber Mutter bin, kann ich erst richtig nachempfinden, wie sich meine Mutter damals gefühlt haben muss. Zum Glück hat uns die Wende alle wieder zusammengeführt.

Sie standen mit Ihrer Schwester schon oft vor der Kamera, werden von Ihrer Mutter gemeinsam gemanagt. Wie oft sehen Sie sich privat?
Kling: Sehr oft, jedenfalls an drehfreien Tagen. Die Familie ist eine sehr wichtige Basis für mich. Wir leben ja alle in einem großen Haus, aber in eigenen Wohnungen, in der Nähe von Potsdam. In unserem persönlichen Umfeld gibt es übrigens ganz viele, die wieder in Großfamilien zusammenleben.

Wie funktioniert das im Alltag?
Kling: Natürlich nicht ohne Reibereien, aber im Großen und Ganzen echt gut. Wie das konkret so abläuft, in unserer chaotischen, eigenwilligen Sippschaft, das beschreibe ich in meinem Buch „Meine kleine Großfamilie — sechs Erwachsene, drei Kinder und jede Menge Action.“

Auch in Ihrem Beruf sind Sie gut beschäftigt. Sie gelten als „natürlich“, „uneitel“ und „authentisch“. Ist das nur ein Image?
Kling: Ich hoffe nicht. Jeder ist so wie er ist, und ich bin jetzt halt mal so. Die Nase hoch zu tragen, entspricht nicht meinem Naturell. Bescheidenheit und Dankbarkeit sind mir schon wichtig. Ich bin wirklich sehr dankbar dafür, dass man mir inzwischen Komödien genauso anbietet wie Dramen, Krimis oder Familienfilme. Das war ja nicht immer so. Auch mein Selbstbewusstsein musste ich mir erst erarbeiten.

Denken Sie dabei an Ihren Karrierestart im vereinten Deutschland?
Kling: Ja. Aber auch als junges Mädchen in der DDR war ich oft schüchtern, ängstlich und verklemmt. Später, als ich im Westen anfing, wurde Hansjörg Felmy dann zu meinem Leitwolf. Ein wunderbarer Schauspieler, bodenständig, bescheiden und niemals arrogant. So wollte ich auch sein. Und ich denke, obwohl ich älter geworden bin, habe ich mich charakterlich nicht großartig verändert.)

Wie wichtig sind Ihnen Glamour und rote Teppiche?
Kling: Sagen wir mal so: Das gehört ein bisschen zum Filmgeschäft mit dazu. Und wenn man sich darauf einlässt, dass das alles ein wenig oberflächlich ist, dann macht das auch Spaß. Aber mindestens genauso wohl fühle ich mich in Jeans und Turnschuhen. Beim Spielen mit meinen Kindern, beim Kuchenbacken oder im gemütlichen Kreis mit engen Freunden, die übrigens alle nicht aus der Filmbranche sind.

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