Jo Brauner: Die Sache mit dem Hummerstreik

Jo Brauner war 30 Jahre Sprecher bei der Tagesschau — stets korrekt und distanziert. Nur gelegentlich verhaspelte er sich.

Berlin. Er informierte die Deutschen 30 Jahre lang über das Weltgeschehen: Jo Brauner, Sprecher der „Tagesschau“ von 1974 bis 2004. Als 1989 die Mauer fiel, war er es, der das epochale Ereignis in der ARD vermeldete. Heute wird der Mann mit der sonoren Stimme 75 Jahre alt.

Herr Brauner, was wünschen Sie sich zum Geburtstag?

Jo Brauner: Ich bin ein großer Belletristik-Freund und habe mir aus der Zeitung eine Liste mit neuen Büchern ausgeschnitten, über die ich mich freuen würde. Andere Wünsche habe ich eigentlich nicht.

Sie haben 2004 als Chefsprecher der „Tagesschau“ aufgehört. Wie gestalten Sie Ihren Ruhestand?

Brauner: Ich tue einiges, um meine kleinen grauen Zellen zu beschäftigen, und deshalb fühle ich mich eigentlich 30 oder 40 Jahre jünger. Ich habe meine geliebten Bücher, und nebenbei spiele ich Klavier — nicht sonderlich gut, aber es entspannt mich. Zudem halte ich unter anderem Vorträge, zum Beispiel über Fernsehen, die ,Tagesschau’ oder die Sprache. Ich bin ein Freund der Grammatik und ärgere mich über die Vergewaltigung des Deutschen, etwa die vielen Anglizismen. Wieso schreibt man ,Coming soon’ in ein Schaufenster statt einfach ,Demnächst Neueröffnung’?

Und wie beurteilen Sie die Sprache der TV-Nachrichten?

Brauner: Die ,Tagesschau’ ist da nach wie vor führend, mein Nachfolger Jan Hofer kümmert sich ebenfalls sehr darum. Für viele Leute ist die ,Tagesschau’ immer noch eine Instanz, nicht nur vom Inhalt her, sondern auch was die Aussprache betrifft. Das ist eine große Verpflichtung, der man nachkommen muss. Sicherlich, niemand ist perfekt — manchmal gibt es auch einen Fehler, denken Sie nur an die falsch angeordneten Farben der deutschen Flagge in den ,Tagesthemen’.

Welche Pannen sind Ihnen selbst als Sprecher passiert?

Brauner: Meinen schlimmsten Versprecher hatte ich im Hörfunk. Ich las in den Nachrichten, dass die RAF-Häftlinge in Stammheim in den Hummerstreik statt in den Hungerstreik getreten waren. Natürlich habe ich mich entschuldigt, das Thema war hochpolitisch. Im Fernsehen gab es diese Geschichte, als Ulrich Deppendorf die ,Tagesthemen’ moderierte und ich den Nachrichtenblock las. An jenem Abend fing er an zu moderieren, obwohl er nicht dran war. Ich aber saß im Bild und hatte noch eine Meldung. Ich bekam Kicheranfälle wie ein Teenager.

Dabei war es ja Ihr Markenzeichen, dass Sie stets distanziert und sachlich blieben.

Brauner: Das ist meiner Meinung nach eine Verpflichtung für alle Nachrichtensprecher. Der Sprecher sollte ein neutrales Gesicht machen, um der Meldung die gebührende Neutralität zu geben. Karl-Heinz Köpcke hat mal in einer Sendung, das ist nun schon 30, 40 Jahre her, bei einer Meldung über Alice Schwarzer und das Thema Emanzipation gelächelt. Da gab es körbeweise Briefe.

Früher wirkten Sie aber auch bei bedeutenden Ereignissen eher unbewegt, täuscht das?

Brauner: Das lag daran dass man anfangs noch gar nicht geschnallt hat, wie man das heute salopp sagen würde, was sich hier weltpolitisch anbahnte. Aber wenn Sie sich die ,Tagesschau’ vom folgenden Tag ansehen, da hatten wir die Bilder von der Mauer und den Vopos, die in der Nacht vom 9. auf den 10. November ratlos dastanden. Hier merkte man meiner Stimme deutlich die Freude an, dass dieses Monstrum Mauer zu bröckeln schien.

Was haben Sie getan, um Ihre Stimmbänder zu pflegen?

Brauner: Eigentlich nichts. Ich habe sogar mal sehr stark geraucht, etwa 30 Zigaretten am Tag oder mehr.

Sie haben wirklich während Ihrer aktiven Zeit gequalmt?

Brauner: Eigentlich haben früher alle Sprecher geraucht, außer Werner Veigel. Ich habe das vor 16 Jahren aufgegeben, und es ist mir auch nicht schwergefallen — nur beim Gewicht hat es sich etwas bemerkbar gemacht.

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