Paul Watson: Gekommen, um zu verlieren

Trainer Paul Watson glaubt, dass Siege völlig überschätzt werden. Viel wichtiger sei es, Haltung zu bewahren.

London. Wahre olympische Tugend, meint Paul Watson, findet sich nicht allein auf dem Siegerpodest, sondern im Schatten des Rampenlichts, im Reich der Verlierer und Trostpreise. Der englische Sportjournalist ist Experte der Hoffnungslosigkeit: 18 Monate lang hat er in Mikronesien die wohl schlechteste Fußballmannschaft der Welt trainiert. In einer Zeit, in der wir alle so gern wie Sprinterkönig Usain Bolt wären, hält er ein Plädoyer fürs Scheitern.

Herr Watson, wie fühlt es sich an, Trainer eines Fußballteams zu sein, das 40 Spiele in Folge verloren hat?

Paul Watson: Erst einmal überwältigend, und das meine ich nicht positiv. Als meine Mission begann, das Team der Insel Pohnpei zum Erfolg zu führen, war mir nicht klar, dass dies ein Kampf an vielen Fronten sein würde. Jeden Tag regnet es auf dem Eiland, der einzige Fußballplatz ist ein ständig überschwemmtes Krötenparadies. Die Inselbewohner sind zumeist übergewichtig und Geld ist auch kaum da. Die härteste Herausforderung aber war es, die Spieler optimistisch und kampfeslustig zu stimmen.

Warum?

Watson: Das Team hatte zuletzt 16:1 gegen die Nachbarinsel Guam verloren. Ganz Pohnpei litt seitdem an Komplexen und glaubte, auch in allen anderen Lebensbereichen schlechter zu sein als Guam. Genau wie in Europa ist auch in Mikronesien die nationale Psyche von sportlichen Erfolgen abhängig.

Am Ende hat das Team mit 7:1 gegen Angstgegner Guam gewonnen. Sie singen trotzdem Lobeshymnen aufs Scheitern?

Watson: Weil ewige Verlierer — anders als Gewinner — die Seele des Sports für uns zurückerobern! Die Spieler von Pohnpei haben alles daran gesetzt, erst gut und dann besser zu werden. Das war ein erfrischend purer und ehrlicher Wettstreit. Die hässlichen Seiten des Sports, Materialismus und Feindseligkeit, die für uns so normal geworden sind, sind Mikronesiern fremd.

80 von 204 Nationen, die bei Olympia antreten, haben noch nie eine Medaille gewonnen. Mikronesien gehört zu dieser Flop-Fraktion. Sie müssen doch zugeben, dass das schon ein bisschen frustrierend ist.

Watson: Nein, ganz im Gegenteil. Ich bewundere den Mut aller Sportler, die sich tapfer einer Situation aussetzen, in der sie verlieren — und das, obwohl sie schon vorher wissen, dass sie keine Chance haben. Ein Sieger braucht diesen Schneid nie aufzubringen. Mut an sich ist schon eine Leistung, denn niemand von uns verlässt freiwillig seine Komfortzone — schon gar nicht, um vor anderen unfähig auszusehen.

Was lehren uns Underdogs?

Watson: Sie sind Vorbild, weil sie Haltung bewahren trotz Chancenlosigkeit. Sie zeigen uns, dass die persönliche Weiterentwicklung mehr zählt als ein Sieg über andere. Wer immer siegt, hat es kaum nötig, sich zu neuen Bestleistungen zu motivieren. Scheitern mit Format, das ist eine wahre olympische Tugend. Die sechs Olympioniken aus Mikronesien wissen, dass sie nicht ins Finale kommen — sie sehen es schon als Erfolg, wenn sie ihre eigene Bestleistung erreichen. Das finde ich nobel.

Was trennt Gewinner von Verlierern — Glück, Muskelkraft, oder Motivation?

Watson: Viel zu oft sind es Ungleichheiten, die über Sieg und Niederlage entscheiden. Einige Nationen investieren Millionen in die Sportförderung; andere wie Mikronesien existieren mit einem Mini-Budget. Mit guten Trainern, Sportgeräten und Finanzzuschüssen erzielt jeder Sportler bessere Leistungen. Geld ist ausschlaggebend. Das ist auf der Welt, und im Sport besonders, ungleich verteilt.

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