Porträt: Glücklich ohne Arme und Beine

Nick Vujicic (26) besitzt keine Gliedmaßen, aber jede Menge Lebensmut. Den gibt er an andere Menschen weiter.

Melbourne/Los Angeles. Als sein Sohn in einem Krankenhaus im australischen Melbourne auf die Welt kommt, muss sich der Vater übergeben. Der Junge hat keine Beine, keine Arme, nur einen kleinen Fuß mit zwei Zehen am Ansatz des linken Oberschenkels. Seine Mutter ist so geschockt, dass es vier Monate dauert, bis sie ihr Kind in den Arm nehmen kann.

Wenn Nick Vujicic (26) heute darüber spricht, ist seine Stimme fest, ebenso sein Blick. Er hat diese Geschichte schon öfter erzählt. "Meine Mutter war Krankenschwester, hat während der Schwangerschaft alles richtig gemacht, trotzdem gibt sie sich noch immer die Schuld", sagte er der Zeitung "Daily Mail". Für seine Behinderung ist ein seltener Gendefekt namens Tetra-amelia-Syndrom verantwortlich.

Seine Eltern, Auswanderer aus dem damaligen Jugoslawien, kümmern sich rührend um ihn, als sie sich mit seiner Behinderung abgefunden haben. "Sie haben mich so erzogen, dass ich selbstständig wurde", sagt Vujicic. Als er 18 Monate alt ist, bringt sein Vater ihm das Schwimmen bei. "Mein Fuß, ich nenne ihn meinen Trommelstock, ist mein Propeller", sagt er. Er hat Humor. Doch als Kind quälte es ihn, der Außenseiter zu sein.

Der Junge im Rollstuhl besucht eine reguläre Schule. Doch er braucht immer fremde Hilfe, wird gehänselt. Er lernt schreiben, mit dem Mund oder seinem Fuß, und einen Computer zu bedienen. Er fährt Skateboard, versucht sich im Fußball.

Doch er leidet darunter, anders zu sein. Zusehen zu müssen, wie andere Kinder in seinem Alter ein "normales Leben" führen. "Ich hasste Gott dafür, dass er mir das angetan hatte", sagt er. "Ich hatte Angst davor, was kommt, wenn meine Eltern mich nicht mehr unterstützen könnten."

Mit zehn Jahren stürzt er sich aus einem Waschbecken, in dem er liegt, um sich das Genick zu brechen. Doch sein Plan scheitert - ein Schlüsselerlebnis für ihn. Freunde, Familie und sein Glaube stützen ihn. Er fasst Mut, beschließt "dankbar zu sein für das, was ich kann, und nicht wütend darüber zu sein, was ich nicht kann". Er macht seinen Abschluss als Finanzberater und beginnt, anderen von sich zu erzählen.

Heute ist Nick Vujicic ein gefragter Motivationstrainer, der die Welt bereist und Vorträge hält - vor bis zu 100 000 Menschen. "Vielleicht ist das meine Aufgabe", sagt er, "anderen Menschen Hoffnung zu geben." Seine positive Lebenseinstellung macht ihn für viele Behinderte zum Vorbild.

Inzwischen ist er mit seiner Familie nach Los Angeles umgezogen. Mit Hilfsmitteln kann er heute Dinge selbst tun, die er früher nicht konnte. Zähneputzen zum Beispiel. Die Bürste ist fest an der Wand befestigt, und Vujicic bewegt seinen Kopf zum Putzen.

Und Golf spielen: Dazu klemmt er den Schläger zwischen Kopf und Schulter ein. Weit schlagen kann er damit nicht, aber einlochen, das geht. Auch Surfen kann er. "Ich habe einen niedrigen Körperschwerpunkt, kann gut die Balance halten", sagt er. Prompt stand er auf dem Cover des "Surfer-Magazins".

Er weiß, wie manche Menschen auf sein Äußeres reagieren, und er kann es sich nicht verkneifen, manchmal seine Späße damit zu machen. Einmal saß er in einem Auto, das gerade vor einer Ampel hielt, erzählt er. Neben ihm wartete ein anderes Auto, mit einer Frau am Steuer, die ihn anschaute. "Sie konnte nur mein Gesicht sehen. Da hab’ ich mir gedacht, ich mache einen kleinen Scherz mit ihr. Also machte ich eine 360-Grad-Drehung im Sitz", erzählt er und lacht wieder. Der Frau fiel die Kinnlade herunter, sie machte sich schnell aus dem Staub.

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