Regisseur Niki Stein: Mich erinnert das an Guantanamo

Regisseur Niki Stein über den ARD-Film „Bis nichts mehr bleibt“, in dem Scientology eine junge Familie zerstört.

Herr Stein, hat Scientology versucht, die Arbeit an Ihrem Film zu beeinflussen?

Niki Stein: Nein. Sie haben zu Beginn Kooperation angeboten, aber das haben wir natürlich nicht wahrgenommen, weil wir über die Opfer reden wollen und nicht über die Technologie. Es hat Versuche der Einschüchterung gegeben, von denen ich aber nicht belegen kann, dass sie von Scientology kamen.

Fühlten Sie sich bedroht?

Stein: Nein, aber man hatte ein mulmiges Gefühl. Wenn ich mich zum Beispiel mit Informanten treffen wollte, mussten wir das oft abbrechen, weil sie glaubten, verfolgt zu werden. In Kopenhagen, wo die Europa-Zentrale von Scientology ist, wurden wir bei den Dreharbeiten stasimäßig fotografiert.

Sie haben sich besonders an den Erfahrungen des Aussteigers Heiner von Rönn orientiert. Worin unterscheiden sich Film und Wirklichkeit?

Stein: Was von Heiner von Rönns Geschichte geblieben ist, ist eigentlich nur, dass es einen Sorgerechtsprozess vor dem Hamburger Familiengericht gab. Auch die Sympathie unseres Helden zu der "Ethik-Offizierin", also seiner eigentlich größten Feindin, hat es tatsächlich gegeben. Alles andere ist ein Mix aus mehreren Aussteiger-Geschichten.

Warum haben Sie als Rahmen die Sorgerechtsverhandlung gewählt?

Stein: Der Kampf um das Kind ist der emotionale Haken. Für mich waren die Szenen im Gericht aber auch eine gute Möglichkeit, Klarheit zu schaffen und Klartext zu reden. Denn es ist extrem schwierig, diesen scientologischen Unterbau zu erklären.

Ihnen ist die eigene Sprache dieser vermeintlichen Kirche wichtig. Befürchten Sie nicht, das Publikum zu überfordern?

Stein: Das glaube ich nicht. Es gibt ein paar Begriffe, die wir nicht aufklären, aber dieses Neusprech von Orwell ist Bestandteil der scientologischen Manipulation. Ich wollte außerdem zeigen, dass der Vater selbst vor Gericht immer noch befangen ist. Auch in der Wirklichkeit sind die Aussteiger auf Jahre hinaus gezeichnet. Man verliert die Souveränität des Denkens.

Der Psychoterror, der Drill - das erinnert an Camps für schwer erziehbare Jugendliche. Ist der Film auch indirekt eine Kritik an der Renaissance autoritärer Erziehungsstile?

Stein: Nein, mich hat das an Guantanamo erinnert, an die Verhörmethoden totalitärer Systeme, an Gestapo und Stasi. Der Umgang mit den Kindern ist noch viel fataler, als man es zeigen kann. Kinder gibt es im scientologischen Verständnis gar nicht. Kinder sind "Körpermaschinen ausgewachsener Thetanen", sie werden wie kleine Erwachsene behandelt. Sie werden gedrillt, auf stereotype Fragen zu antworten. Sie machen Übungen, um den Willen eines anderen zu brechen.

Der Film spielt Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre. Sind die gezeigten Praktiken schon überholt?

Stein: Einige Vorgänge - zum Beispiel die Schließung des Kindergartens - sind tatsächlich in dieser Zeit passiert. Das wollten wir so erzählen, weil unsere Zeugen das für diese Zeit bestätigen können. Scientology funktioniert noch immer so, aber sie haben zum Teil andere Methoden. In der Lebenshilfe - Nachhilfe-Unterricht, Personalberatung - findet Scientology zurzeit einen dankbaren Markt.

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