Schlingensiefs Kampf gegen Krebs

Vor acht Monaten bekam der Regisseur die Diagnose: Lungenkrebs. Erstmals spricht er über Angst und Lebensfreude.

Berlin. Angst, Schuldgefühle, die Suche nach Gott - in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel hat Christoph Schlingensief erstmals sehr offen über den Kampf gegen seine schwere Krebserkrankung gesprochen.

Dem Regisseur geht es nach einer erfolgreichen Operation, Bestrahlung und Chemo-Therapie deutlich besser, aber vom Sieg über den Lungenkrebs will er noch nicht reden.

"Diese vergangenen acht Monate sind das Konkreteste, Härteste, was ich in dieser ganzen simulierten Weltansicht von Kunst, Theater und Oper je erlebt habe", sagt er.

Anfangs, als die Beschwerden begannen, klammerte er sich an die Hoffnung, dass er sich im brasilianischen Regenwald nur mit einem Virus infiziert hätte. Doch dann, im Januar, teilten ihm die Ärzte mit, dass er Lungenkrebs hat.

"Seither quält mich die Frage, wer mich da verlassen hat. ,Mein Gott, warum hast du mich verlassen?’ - den Satz kann ich nun auch mal rufen", sagt der 47-Jährige.

Als besonders bedrückend empfand er den Wirbel, der anfangs um seine Erkrankung gemacht worden sei: "Bei den Ärzten riefen 20 Minuten nach der OP die ersten Journalisten an. Ich bin doch nicht der Bundeskanzler!" Bei der Operation war ihm der linke Lungenflügel entnommen worden.

"Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir" heißt das Oratorium, in dem der Regisseur seine Gedanken und inneren Auseinandersetzungen während der Krankheit verarbeitet hat.

Den Titel erklärt er so: "Das Fremde in mir war vor allem, dass ich zunächst nicht fassen konnte, warum mir das zustößt. Ich suchte nach einer Schuld bei mir selbst." Immer wieder kreisten seine Gedanken um den Glauben:

"Ich erlebe die Beziehung zu meinem Gott als Kampfsituation. Wenn man einen solchen Schlag abkriegt, kann man das nicht einfach akzeptieren."

Während schlaflosen Nächten im Krankenhaus sprach er oft stundenlang in ein Diktiergerät hinein. Dabei entstand ein 450 Seiten dickes Manuskript, das in weiten Teilen als Grundlage für sein neues Werk diente.

Am 21. September feiert sein von ihm so genanntes "Fluxus-Oratorium" bei der Ruhr-Triennale im Landschaftspark Duisburg-Nord Premiere.

Was Schlingensief während seiner Krankheit neben Glaubensfragen besonders bewegte, war die damit verknüpfte Frage nach dem Warum. Das Rauchen hat er schon vor Jahren aufgegeben.

Der Regisseur glaubt an eine Verbindung zur Parsifal-Inszenierung in Bayreuth, die Frage nach dem Tod: "Für mich war der Parsifal ein Weltabschiedswerk, und das habe ich sehr ernst genommen. Vielleicht zu ernst."

Die Angst ist weitgehend der Lebensfreude gewichen, sagt Schlingensief. "Das, was ich erlebt habe, ist vielleicht so etwas, wie ich mir teilweise einen Krieg oder ein Gefangenenlager vorstelle. Es relativiert sich vieles im Leben."

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