Susanne Zingel: Pastorin zwischen Ebbe und Flut

Seit fünf Jahren ist Susanne Zingel auf Sylt tätig. Die Insel hat Auswirkungen auf die Menschen und deren Seele, sagt sie.

Keitum. „Wir sind keine Eventkirche.“ Das stellt Susanne Zingel schon mal klar. Sylt mag die „Insel der Reichen und Schönen“ sein, aber die Fragen, mit denen die Menschen in die St.-Severin-Kirche in Keitum kommen, seien existenziell. Die Insellage und ihre Auswirkungen auf die Menschen und deren Seele — das macht für die 50-Jährige einen Teil der Faszination ihrer Kirche aus.

2005 übernahm sie die Pastorenstelle in Keitum von Traugott Giesen. Er war sehr präsent in der Öffentlichkeit, galt als Promipastor. Die große Erwartung, ebenso medienwirksam zu agieren, habe sie auch gespürt, sagt die in Lübeck aufgewachsene Geistliche. Der Begriff Promipastorin passe für sie aber gar nicht. „Wir sind leidenschaftliche Pastoren.“

Überhaupt sei Sylt nicht frei von gesellschaftlichen Problemen. „Wir werden weniger“, sagt Zingel. Sie erlebte selbst, wie die Schulklasse ihres Kindes schrumpfte. „Jetzt haben wir mehr zu tun als Kirche, weil wir mehr aufeinander angewiesen sind.“ Die Menschen ziehen weg, weil das Leben auf Sylt zu teuer geworden ist.

Manch einer müsse drei Jobs haben, um sich Wohnraum leisten zu können. Aber auch die Menschen mit üppigerem Bankkonto kommen in den Ferien mit ihren Sorgen in die Kirche: „Sie sagen, diese Woche ist kostbar.“ In der übrigen Zeit fresse die Arbeit sie auf. „Alle arbeiten sich ab an Sinn und Glück.“

Zingel war vor dem Umzug nach Sylt in Hamburg tätig. Dort aber sei die Gemeinde „gesättigt“. Vielfältiger sei die Arbeit in Keitum, findet die Pastorin, deren Lieblingsplatz der Tierpark Tinnum ist, die „Arche Noah“ von Sylt. „Eine Gemeinde muss sich weiterentwickeln, und hier kommen ständig neue Leute an.“ Überhaupt, die Insellage: „Hier sind Faszination und Gefährdung durch das Meer immer da.“

Auf die Menschen habe das Meer eine beruhigende Wirkung, hat Susanne Zingel bemerkt. „Die Menschen sind sehr angefasst“, findet die Pastorin. „Als würden Ebbe und Flut auch durch die Seele gehen.“ In Touristenstädten wie Florenz sei man abgelenkt, auf Sylt gebe es ein „existenzielles Nachspüren“. St. Severin ist dann der Fels in der Brandung.

Die Kirche auf einer Anhöhe ist von weitem zu sehen, mit ihrem breiten Backsteinturm wirkt sie fast wie eine Trutzburg. 1000 Besucher verzeichnet St. Severin pro Tag in der Hochsaison, Touristen und Einheimische halten sich etwa die Waage.

Rudolf Augstein ist dort begraben, der Tennisspieler Michael Stich schloss dort den Bund fürs Leben. Das Gästebuch der vergangenen Monate, das Zingel stolz vorzeigt, ist fast voll. Im Juli waren Wolfgang Schäuble und Kurt Biedenkopf Gast bei einem Konzert.

Wirklich wichtig ist der 50-Jährigen aber, die Kirche noch mehr für Kinder und Jugendliche zu öffnen. „Diese Facette fehlt noch.“ Zudem hat die Gemeinde gerade mit der Erforschung der Geschichte ihrer Kirche, diesem „magischen Anziehungsort“, begonnen. Es gebe Verbindungen nach Dänemark, erzählt Zingel, früher habe das Gotteshaus Knudskirche geheißen, nach einem dänischen König.

Gerade ist die Pastorin von einer Reise nach Jütland zurückgekehrt. Viele Informationen seien durch Sturmfluten „im Dunkeln versunken“.

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