Die Frauenmode wird ernst und erwachsen

Köln (dpa/tmn) - Die Mode findet immer wieder etwas Neues: Diese Saison ist es viel Altes, das sich wiederfindet. Die Frau, die im Herbst und Winter auf der Höhe der Zeit gekleidet sein will, greift zu Klamotten, die sie selbst oder die Mutter schon mal im Schrank hatte.

Frauen zeigen in dieser Saison, dass sie erwachsen sind und sich so kleiden können: Selten hatten Designer und die ihnen hörigen Modebewussten so wenig Interesse am Reiz mit offensichtlicher Freizügigkeit. Denn reizen, das geht auch anders: mit Souveränität, Eleganz und einer Ernsthaftigkeit, die in Krisenzeiten gut ankommt.

Ein „neues Verständnis von Gut-angezogen-Sein“ erkennt das Deutsche Mode-Institut (DMI) in Köln. Genauso interpretiert dies das Branchenblatt „Textilwirtschaft“, das vorab die Trends analysierte. Und es warnte nach den ersten Präsentationen der Wintermode: „Achtung Ladys - nichts für kleine Mädchen.“ Die Designer zeichneten ein „reifes, erwachsenes Modebild“ für den Herbst und Winter 2011/12.

Das gelingt durch gerade, schlichte Schnitte, kaum Applikationen oder Schischi und dem Recycling von Kleidungsstücken, die bis vor einiger Zeit als eher bieder galten - allen voran der Blazer, der schon im Sommer und auch im Winter das Must-Have ist. Es gibt ihn in allen Längen und Weiten, Mustern und Formen. Neu sind für Frauen Blazer, die an Militär-Uniformen oder Collegejacken erinnern.

Sie werden gepaart mit einem bis dato kaum gekannten Spiel mit der Weiblichkeit: Entweder wird diese post-emanzipatorisch besonders hervorgehoben oder sie wird verleugnet. Nicht wenige Designer stecken Frauen in Männerklamotten und spitzen den „Garçonne“-Look des Sommers noch zu: Over-Size-Blazer dürfen nun über-übergroß sein, darunter kommt bei Benetton eine Anzugweste und bei G-Star eine Fliege um den Hals. Oder Frau bekommt das Erkennungszeichen des Arbeiters verpasst: derbe Stiefel mit dicken Sohlen zum Blazer oder zum Rock - wie Dismero und Comma vormachen.

Im Gegensatz dazu imitieren andere Designer das jeweilige In-Bild der Frau in den vergangenen Jahrzehnten. „Zwischen 40er und 70er wird alles revivaled. Das genießt die Jugend geradezu“, analysiert Mara Michel, Geschäftsführerin des Verbands Deutscher Mode- und Textildesigner, die Kollektionen. Miu Miu hat hochgeschlossene Tageskleider im Stil der 40er Jahre im Sortiment. Minx, Frank Walder und Comma preisen die langen A-Röcke der 50er an. Die 60er steuern Mäntel in geradeliniger Silhouette sowie schmale Röcke bei.

Die weite, bodenlange Marlene-Hose repräsentiert die elegante, erwachsene Seite der 70er. Darüber zieht man eine adrette Bluse oder weite, neuerdings sehr kurze Strickpullis, wie H&M und Luisa Cerano zeigen. Die Marlene ist oft zu sehen in den Kollektionen, doch die Experten sind sich dennoch nicht sicher, ob sie die kürzere Röhre verdrängen kann: „Bisher waren die Schuhe und Stiefel den Frauen so wichtig und interessant, dass sie verkürzte oder schmale Formen, die in die Stiefel getragen werden konnten, vorzogen“, schreibt das DMI.

Auch die Mäntel und Jacken hat man irgendwo schon mal gesehen - ihre Formenvielfalt ist so breit wie das vergangene Jahrhundert lang: Es gibt das Cape bei H&M, das seit Reiterzeiten getragen wird, den Caban der 60ern bei Benetton in Rot oder den Maximantel der 70ern bei Sisley im Grätenmuster.

Das vergangene Biedere reize insbesondere die jüngeren Frauen zur Übernahme, sagt Gerd Müller-Thomkins, DMI-Geschäftsführer. Warum? Weil alles erreicht wurde, sagt Mara Michel. Die Gesellschaft musste sich im vergangenen Jahrhundert um die Emanzipation kümmern. „Dabei haben wir völlig vergessen, dass Frauen auch Emotionen haben und nicht nur Businessfrauen sind.“ Das sei nun überwunden, das Korsett und aufgezwungen Biedere seien weg, und Frau könne sich wieder frei an den tollen, sehr weiblichen Schnitten und Formen der vergangenen Jahrzehnte bedienen, erläutert Michel.

„Die Jugend schöpft lustvoll den Spielraum der Mütter- und Großmütter-Generation aus. Sie setzen die Stile aber so um, wie ihre Mütter es nie getan hätten“, erläutert Müller-Thomkins. So bleibe eine wichtige Errungenschaft der späteren Jahrzehnte stets erhalten: das sportliche und legere Element. „Wer einmal von der Leichtigkeit des Seins in der Mode gekostet hat, will das nicht mehr missen.“

So lässt Marc Cain den Inbegriff des Steifen, die Schluppenbluse, zur saloppen Chino tragen. Benetton kombiniert zum Blazer eine kurze Hose und Mango einen Schlabberpulli zum Spitzenrock. Das DMI rät, über feminine Kleider, die schwingende Röcke haben, sportliche Jacken zu ziehen. Auch männliche Elemente schaffen den Stilbruch: Zu kurzen Röcken wird das derbe Schuhwerk eines Bauarbeiters oder der Schnürer des Gentlemen getragen.

Personal Shopperin Sonja Grau aus Ulm rät allerdings zu etwas dezenteren Stilbrüchen: etwa zum schicken Kleid farbige oder gemusterte Stulpen zu tragen, die unter den Stiefeln hervorschauen. Denn gerade das Derbe an der Frau finde nicht jeder schick: „Einiges, was die Designer zeigen, ist auf der Straße fehl am Platz.“

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