Russische Omas wollen Eurovision aufmischen

Moskau (dpa) - Vom Wolga-Dorf ins Grand-Prix-Rampenlicht: Ein kultiger Trachtenchor aus sechs russischen Großmüttern hofft beim Eurovision Song Contest (ESC) mit Folklore im Disco-Sound auf den Sieg.

Überraschend deklassierten die Buranowskije Babuschki (Omas aus Buranowo) beim Vorentscheid in Moskau die versammelte Pop-Prominenz des Landes. Nun will das skurrile Ensemble mit seinem Song „Party For Everybody“ beim Grand Prix Ende Mai auch den deutschen Teilnehmer Roman Lob („Standing Still“) schlagen. Die Seniorinnen sehen den Musikwettbewerb in Baku als „größtes Abenteuer“ ihres Lebens. Experten räumen ihnen durchaus Chancen ein, zu siegen.

Die fidele Gruppe mit einem Durchschnittsalter von etwa 66 Jahren entschloss sich vor vier Jahren, internationale Popklassiker in ihrer eigenen Sprache zu singen. Rund 1100 Kilometer südöstlich von Moskau interpretierten die derzeit wohl berühmtesten Großmütter Russlands Lieder etwa der Beatles („Let it be“) in Udmurtisch - einer finno-ugrischen Sprache, die weltweit nur etwa 500 000 Menschen beherrschen - und eroberten damit das Herz vieler Russen im Sturm. Beim nationalen ESC-Vorentscheid 2010 belegten sie den dritten Platz. Die damalige Reise von Buranowo ins ferne Moskau sei ein unvergessliches Ereignis gewesen, schwärmen die Babuschki noch heute.

„Normalerweise malt Pop-Musik eine Traumwelt, aber wir wollen auch optisch das Gegenteil zeigen: den Alltag in der russischen Provinz“, sagt die 73 Jahre alte Galina Konewa dem Staatsfernsehen. Mit Kopftuch und in geflochtenen Bastschuhen aus Birkenrinde („lapti“) stehen die „Spice Girls von der Wolga“ im Proberaum ihres 650-Seelen-Dorfes. Auf den kunterbunten Flickenschürzen („aischetow“) glitzern Ketten („monisty“) aus Münzen, von Sowjetrubeln bis zu Zarentalern. „Come on and boom boom“, singen die Omas, und Sergej Schirokow nickt. Der TV-Regisseur ist als Choreograph für den ESC-Auftritt in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zuständig.

Die Babuschki sind keine Produkte kühler Castingshows, sondern Teilzeit-Popstars in Holzhäusern ohne fließendes Wasser. Wenn sie nicht gerade im Kulturzentrum proben, melken sie Ziegen oder sammeln Hühnereier. Die Popularität sei nicht nur angenehm, sagt die 86 Jahre alte Jelisaweta Sarbatowa. Erstmals im Leben habe ihr Alltag eine fremdbestimmte Struktur. Sarbatowa singt manchmal mit der Gruppe mit und wäre bei einer ESC-Reise die älteste Teilnehmerin überhaupt. Sie sieht das zwiespältig. „Es muss gejätet werden, außerdem steht das Setzen von Möhren und Zwiebeln an. Wer macht das, wenn ich weg bin?“

Ursprünglich wollten die Frauen im Alter zwischen 43 und 76 Jahren mit Konzerten das Geld für eine Dorfkirche zusammensingen, die unter Sowjetdiktator Stalin 1949 abgerissen worden ist. Umgerechnet 200 000 Euro seien in der Kasse, berichten Medien in Moskau - das reiche fast. Kritiker meinen, es hätte in Russland „bessere“ Sänger für Baku gegeben. Bei ihrem „musikalischen Grenzgang“ würden die Großmütter oft den Einsatz verpassen und nicht immer den Ton halten. Die Frauen ficht das nicht an. „Wir werden mit Lebensfreude punkten“, sagt die 76 Jahre alte Natalia Pugatschowa der Zeitung „Komsomolskaja Prawda“.

In Baku wollen die Babuschki als Teil der Show auf der Bühne Piroggen backen und an die Zuschauer verteilen. Das Spektakel im fernen Aserbaidschan soll in Ischewsk, der Hauptstadt der Teilrepublik Udmurtien, auf einer Großbildleinwand zu sehen sein. Dann werden wohl auch die 18 Kinder, 26 Enkel und 12 Urenkel der Omas mitfiebern in der Stadt, in der die berühmten Kalaschnikow-Gewehre gebaut werden.

Einige Tage vor dem ESC-Finale am 26. Mai müssen sich die musikalischen Quereinsteigerinnen allerdings erst einmal in einem Halbfinale durchsetzen. Wenn sie es ins große Finale schaffen, macht die Älteste von ihnen mit ihren 76 Jahren dem gleichaltrigen Engelbert in Sachen Altersrekord beim ESC-Auftritt Konkurrenz, der in Baku für das Vereinigte Königreich an den Start geht. Für den Fall eines Gesamtsieges haben die rüstigen Rentnerinnen übrigens einen Wunsch: von der Gebietsverwaltung hätten sie gerne Langlauf-Skier.

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