Bei "Marija" in Düsseldorf geht es um die Wurst

Meister-Regisseurin Andrea Breth zeigt „Marija“ in Düsseldorf.

Düsseldorf. Im Krieg zählte es noch etwas, wenn Granaten einem im Kampf die Beine weggerissen hatten. Heute will man sie los werden: diese Invaliden mit ihren zerfetzten Gesichtern, diese Krüppel mit ihren aufdringlichen Stümpfen. Oder man macht mit ihnen Geschäfte, lässt sie schmuggeln und stehlen. Würste, die sie von ihren Feldzügen bringen, sind die wahre Währung in diesen Zeiten. Der jüdische Kaufmann Dymschitz hat das erkannt, bezahlt hungernde Frauen mit Sülze, Schinken und Gänseschmalz für Liebesdienste. Dafür versteckt er diese Männer, überhört ihr Stöhnen.

In acht Bildern schilderte Isaak Babel die Zustände im russischen Petrograd kurz nach der Revolution. Sein Stück „Marija“ wurde 1935 zwar gedruckt, doch im Russland der Sowjets auf keiner Bühne gespielt.

Von dieser Marija ist viel die Rede, von ihrem scharfen Verstand, ihren Idealen und ihrem Einfluss. Zu sehen ist die Frau nie. Sie kämpft an der Front. Mehr als 20 Menschen zeigt Regisseurin Andrea Breth in diesen acht Szenen im Düsseldorfer Schauspielhaus: Allen geht es ums Überleben, die einen verlieren, die anderen gewinnen. Die Zuschauer sitzen im Dunkeln, wummernde und wie bei einem rückwärtslaufenden Band verzerrte Geräusche verunsichern.

Breth holt die Darsteller ganz nach vorn auf die Bühne, hat ihnen kleine Zimmer gebaut — sehr geschickt in dem schwer zu bespielenden Großen Haus. Requisiten und Kostüme stammen aus der Zeit. Fast wie im Film, eher zweidimensional als mit räumlicher Tiefe, präsentiert sie diese Gesellschaft, in der Recht und Moral nicht halb so viel zählen wie Wurst und Wodka.

Unwohl wird einem bei dieser Kälte, schwer auszuhalten, ist die Brutalität. Breth schafft keine Verweise zum Verlust der Werte in unserer heutigen Gesellschaft. Mitleid fällt schwer. Hier geht es allzu naturalistisch um die Grausamkeiten, wie Babel sie schildert.

Darin ist Breth indes eine Könnerin: Jede Einstellung ist genau, jede Bewegung der Schauspieler sitzt. Der Kaufmann Dymschitz (Klaus Schreiber) changiert zwischen antisemitischem Stereotyp und neureicher Vulgarität. Imogen Kogge mit Muff und schwarzer Pelzmütze gibt dem Niedergang ihrer Klasse eine ebenso starke Figur wie Janina Sachau ihrer gesellschaftlich aufsteigenden Putzfrau. Ein eindrucksvolles Panorama, das jedoch weit weg zu sein scheint.

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