Bombast für den Pseudo-Krimi

Ruhrtriennale Romeo Castelluci inszeniert wenig überzeugend die Anti-Oper „Neither“ nach Samuel Beckett und Morton Feldman.

Morton Feldman / Samuel Beckett: "Neither" Musiktheater, inszeniert von Romeo Castellucci Jahrhunderthalle Bochum

Morton Feldman / Samuel Beckett: "Neither" Musiktheater, inszeniert von Romeo Castellucci Jahrhunderthalle Bochum

Foto: Ruihrtriennale/STEPHAN GLAGLA

Bochum. Gegen Ende fährt ein Schreck durch die Zuschauer: Langsam hat sich der Zug durch die gigantische Jahrhunderthalle in Bochum auf sie zugeschoben. Als die Lok die ersten Reihen erreicht, bleibt sie nicht etwas stehen, sondern schiebt sich dazwischen — die Lücke zwischen den Stühlen ist genau kalkuliert. Zugleich werden die vorderen Reihen im Block nach vorn geschoben, die große Tribüne ruckt nach hinten. Für einen Moment geht das Gefühl verloren, wer sich wohin bewegt.

Beckett und Feldman mochten keine Oper, schrieben aber eine

Die Unsicherheit dieses Dazwischen als Bestandteil der menschlichen Existenz ist das Thema der Anti-Oper „Neither“ („Weder“) von 1977. Als sich der irische Schriftsteller Samuel Beckett und der US-Komponist Morton Feldman trafen, gestanden sie sich gegenseitig, keine Opern zu mögen. Kurioserweise vereinbarten sie dennoch eine Zusammenarbeit. Beckett schickte 1976 eine Postkarte mit einem Prosagedicht aus 87 Wörtern, das zwischen drinnen und draußen, hell und dunkel, selbst und unselbst oszilliert. Feldman schrieb dazu das Werk für eine Sopranstimme und Orchester.

Eine Oper ohne Geschichte und eine zarte, minimalistische Musik, in der die Pausen so wichtig sind wie die Verästelungen in Variationen — für einen Regisseur ebenso Herausforderung wie Spielwiese. Romeo Castellucci ist ein Meister der optischen Effekte — das hat er bei der Ruhrtriennale gerade mit seiner Version von Strawinskys „Sacre du Printemps“ bewiesen, in der er Knochenstaub zum Tanzen bringt. Auch in „Neither“ nutzt er den riesigen Raum für bombastische Bilder mit hin und her brandenden Lichtwellen, einem 25-köpfigen Trupp Arbeitern samt Grubenlampe, einem unfroh tänzelnden Pferd im Hintergrund. Becketts Text lässt Castellucci allerdings komplett weg.

Die US-Sopranistin Laura Akin moduliert ausschließlich den Vokal „A“ in den höchsten Lagen, filigran begleitet von den Duisburger Philharmonikern unter Emilio Pomàrico. Stattdessen fügt der Regisseur eigenen Text in Schrifteinblendungen hinzu, reflektiert etwa über die Diskrepanz von Quantenmechanik und der normalen Wahrnehmung alltäglicher Realität. Zugleich pfropft er dem Werk eine rudimentäre Handlung auf, die er wie einen Krimi der 30er Jahre inszeniert mit Gangstern, Limousine und einem entführten Kind. Beide Zusätze sind wenig zwingend. Am Ende steht ein einzelnes Bein vor dem Mikrofon und schweigt. Zum Glück.

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