Abschied von Christa Wolf

Berlin (dpa) - Unter großer Anteilnahme ist in Berlin die Schriftstellerin Christa Wolf beigesetzt worden. Auch Günter Grass gab ihr das letzte Geleit - und fand harte Worte für ihre Kritiker.

Knapp zwei Wochen nach ihrem Tod wurde Wolf auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin-Mitte beerdigt. In einer leidenschaftlichen Rede warf Literaturnobelpreisträger Günter Grass bei einer Gedenkfeier am Abend ihren westdeutschen Kritikern vor, nach dem Fall der Mauer eine „öffentliche Hinrichtung“ an ihr zelebriert zu haben.

Christa Wolfs Buch „Was bleibt“ habe bei führenden Blättern wie der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und dem Wochenblatt „Die Zeit“ einen „Vernichtungswillen“ ausgelöst, sagte Grass. Die im eigenen Land verletzte Autorin habe auch im Westen „Verleumdung, verfälschte Zitate und immer wieder versuchten Rufmord“ erfahren. Die Erwartung, die Wortführer von einst könnten sich entschuldigen, bleibe vergeblich, sagte Grass. „So schäbig ging es im Jahr der Deutschen Einheit zu.“

Christa Wolf, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen der Nachkriegszeit, war am 1. Dezember im Alter von 82 Jahren gestorben. Vielen Lesern galt sie als moralische Instanz. Die DDR sah sie mit kritischer Distanz, obwohl sie auch SED-Mitglied war.

Bei der Beerdigung sagte der Dramatiker Volker Braun: „Wohl nie hat so viel Liebe eine Tote zum Grab geleitet.“

Unter den Trauergästen waren neben Grass auch Schauspielerin Corinna Harfouch, Schriftsteller Christoph Hein, Linke-Politiker Gregor Gysi, DDR-Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer und Musiker Andrej Hermlin. Vor den Kondolenzbüchern bildeten sich im strömenden Regen lange Schlangen. Die Ansprachen der Trauerredner wurden per Lautsprecher auf den Platz vor der Friedhofskapelle übertragen. Am Grab legten die mit Witwer Gerhard Wolf trauernden Menschen rote und weiße Rosen und Nelken nieder.

Bei der Gedenkveranstaltung am Abend in der Akademie der Künste würdigte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) die Verstorbene als eine gesamtdeutsche Autorin: „Berlin verneigt sich vor dieser großen Schriftstellerin. Danke Christa Wolf.“ Der frühere DDR-Bürgerrechtler und evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer sagte: „Sie hat niemanden verraten, auch nicht sich selbst. Die Hechelmeute stehle sich davon.“

Der Schriftsteller Volker Braun bezeichnete Wolf bei der Trauerfeier am Friedhof als „die Hoffnungsvolle, die Zweifelnde“. Sie habe ein liebevolles, tätiges, reiches Leben geführt. „Sie ließ sich nicht einschränken“, sagte Braun. „Sie ging bis an die Grenze, an der man sich selbst als Fremder entgegenkommt.“

Zu Wolfs bedeutendsten Werken zählen „Der geteilte Himmel“, „Nachdenken über Christa T.“, „Kindheitsmuster“, „Kein Ort. Nirgends“ und „Kassandra“. Sie war Chronistin der DDR und der deutschen Teilung und hatte Leser in Ost wie West. Ihr Grab liegt in der Nähe der Ruhestätten des Schriftstellers Stephan Hermlin, des Journalisten Günter Gaus und des Literaturwissenschaftlers Hans Mayer.

„Nach dem Umbruch blieb sie voll Neugier, ihre Spottlust ungestillt“, sagte Braun. Wolfs Roman-Gestalten Kassandra und Medea „umzingeln sie wie Schwestern“, sagte der Dramatiker. Wolfs Enkelin Jana Simon meinte in Erinnerung an ihre Großmutter: „Du hast immer etwas gewollt und das möglichst mit vielen gemeinsam.“ Sie habe ihre Großeltern stets um die Existenzialität ihrer Gefechte beneidet, sagte die Enkelin.

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