Brillanter Provokateur: Gore Vidal gestorben

New York (dpa) - Es gibt nur wenige Politiker, die Gore Vidal nicht mit seiner Feder aufgespießt hat.

Dem früheren US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt warf er vor, den Angriff der Japaner auf Pearl Harbor vorsätzlich provoziert zu haben. In der Amtszeit von George W. Bush setzte er sich aktiv für die Absetzung des Präsidenten ein. Gore Vidal, der am Dienstag (Ortszeit) in seinem Haus in den Hollywood Hills nahe Los Angeles an einer Lungenentzündung starb, war ein brillanter Provokateur, Romancier, Eassayist, Dramaturg und Drehbuchautor.

„Er hat Durchblick, ist witzig und schreibt unglaublich klar“, räumte der Kritiker Martin Amis einmal ein. Scharfzüngig und oft auch zynisch nahm Vidal die Gesellschaft seiner Heimat aufs Korn. Dabei stammte er selbst aus der High Society, war entfernt mit dem Kennedy-Clan verwandt. In seinen Büchern und Aufsätzen geißelte er die USA als „Imperium“, expansionsbeflissen, kriegslüstern, raffgierig und in vieler Hinsicht dem Römischen Reich ähnlich.

Vidal selbst strebte zwei Mal vergeblich eine politische Karriere an, scheiterte jedoch trotz wohlwollender Förderung von John F. Kennedy. Stets politisch zu denken, hatte er von seinem Großvater mütterlicherseits gelernt. Thomas Pryor Gore war blind, ließ sich durch die Behinderung aber nicht von seiner Laufbahn abbringen. Voller Bewunderung nahm Vidal den Nachnamen des Großvaters als Vornamen an.

Vorher hatte der in der Militärakademie West Point bei New York geborene Vidal Eugene Luther geheißen. Diesen Namen hatte sein Vater, ein Oberleutnant, für ihn ausgewählt. Nach der Scheidung heiratete seine Mutter, eine bildschöne Schauspielerin erneut: Vidals Stiefvater, Hugh Auchincloss, war später auch der Stiefvater von Jacqueline Kennedy.

Nach dem Achtungserfolg „Williwaw“ über seine Kriegserfahrungen schockte Vidal das bürgerliche Amerika 1948 mit seinem nächsten Buch. In „Geschlossener Kreis“ setzte er sich für Homosexuelle ein und ließ seine eigenen Neigungen erkennen. Der Roman gilt als das erste literarische Werk des 20. Jahrhunderts, in dem Homosexualität offen und ausführlich zur Sprache kommt.

Vidal selbst liebte Männer und Frauen, hatte nach Angaben seiner Kollegin Anais Nin eine Affäre mit ihr und war auch kurz mit der Schauspielerin Joanne Woodward verlobt, bevor sie Paul Newman heiratete. Er selbst entdeckte 1950 in Howard Austen seinen Lebenspartner und blieb bis 2003 - Austens Todesjahr - mit ihm zusammen.

Nach „Geschlossener Kreis“ verfasste Vidal lange unter dem Pseudonym Edgar Box Krimis. Den Durchbruch zu literarischem Weltruhm schaffte er zwei Jahrzehnte später mit „Myra Breckinridge“, der Story des Homosexuellen Myron, der sich nach der Umwandlung seines Geschlechts als Myra in Hollywood durchschlägt.

Mit 24 Romanen, einem halben Dutzend Theaterstücken, doppelt so vielen Drehbüchern, darunter auch das für den Kinoklassiker „Ben Hur“, mehr als 200 Essays und einer Autobiografie („Palimpsest“) hat Vidal im Verlauf von sechs Jahrzehnten ein vielfach preisgekröntes Oeuvre produziert.

Obwohl in Deutschland viele seiner Bände erfolgreich verlegt wurden, empfand Vidal bei dem Gedanken an die „Germanenstämme“ öfter Unbehagen. 1993 notierte er vor einer Reise auf Einladung seines Verlages: „Lange war ich eine Unperson in Deutschland - wie jeder Kritiker des amerikanischen Imperialismus, dessen östlichste Provinz Deutschland war.“

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