Friedenspreisträger Sansal fordert „Arabische Aufklärung“

Frankfurt/Main (dpa) - Der algerische Schriftsteller und Friedenspreisträger Boualem Sansal setzt alle seine Hoffnungen für die arabische Welt in eine Aufklärung nach europäischem Vorbild.

Der Koran könne nicht die Lösung für die Probleme im Maghreb und im Nahen Osten sein, sagte Sansal in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa in Frankfurt. Er war dort Gast auf den Arabischen Literaturtagen. Danach setzt er seine Lesereise durch Deutschland fort. Im vergangenen Jahr hatte Sansal den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen.

Die Literaturtage standen unter dem Motto „Aufbruch in die Freiheit“. Der Freiheitsbegriff könne hier nur im abendländischen Sinn verstanden sein, erklärt Sansal. „In Algerien oder dem Iran haben die Leute eine ganz andere Vorstellung. Sie halten den Koran hoch und rufen "Hier ist die Freiheit! Hier ist die Lösung!" Sie denken, man könne mit der Religion einen Staat regieren, und dass im Koran eine Möglichkeit für Demokratie besteht, die auf Brüderlichkeit beruht.“ Sansal erinnert an den Iran, der sich als eine islamische Demokratie bezeichne: „Es gibt ein Parlament, Parteien und einen gewählten Präsidenten. Aber das Gesetz ist der Koran.“

Sansal will die Religion zurückdrängen: „Ich glaube nicht, dass man mit der Religion einen demokratischen Staat bauen kann. In Europa ist es gelungen, Freiheit von Religion zu trennen, und das muss auch in der arabischen Welt geschehen. Das ist Pflicht und Voraussetzung für das Ende der Gewalt.“ Die arabische Welt habe aber Angst vor der Demokratie, weil sie zum Beispiel auch die Befreiung der Frauen bedeute. Das wiederum würden die Religiösen nicht akzeptieren.

Auch den Westen schließt er in seine Vorwürfe ein: „Das Abendland ist in eine Falle gegangen. In Libyen hat man den Aufständischen geholfen, damit die Islamisten an die Macht kommen. Das war ein kolossaler Fehler. Das wird nur die Diktaturen stärken. In der arabischen Welt herrscht die Meinung, dass Europa erst die Diktaturen unterstützt hat und jetzt den Islamisten an die Macht verhilft.“

Der Westen habe die Ereignisse im Maghreb schlecht interpretiert: „Anfangs wollten die Leute, dass der Diktator verschwindet. Dann haben sie ihn weggefegt. Aber dann war die Frage: "Was sollen wir jetzt machen?" Die Mehrheit hat sich aus Tradition der Religion zugewandt, um diese Fragen zu beantworten.“ Gerade aber religiöse Tabus und Rituale seien dafür da, überrumpelt zu werden. Es sei die Rolle der Intellektuellen der Region, diese Tabus anzusprechen und zu überwinden. Besonders die jungen Schriftsteller nimmt er in die Pflicht: Sie sollten Sprachrohr der Revolte sein und nachdenken, wie man wirkliche Demokratie installieren könne.

Wenn er auf Syrien blickt, befallen Sansal Zweifel an der arabischen Welt: „Ich habe überhaupt kein Vertrauen in die Arabische Liga. Die Vereinten Nationen sind die Lösung. Das internationale Recht muss auch in diesen Regionen gelten, damit es keine Militärdiktaturen, keine Mafia und keine Islamisten gibt.“

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