Astrid Lindgrens Kinderbuch „Für Sie immer noch Frau Langstrumpf“

Am Donnerstag vor 70 Jahren erschien der erste Pippi- Langstrumpf-Band. Wir zeigen mit einem Augenzwinkern, wie ihr Leben außerhalb der Buchdeckel hätte weitergehen können.

Astrid Lindgrens Kinderbuch: „Für Sie immer noch Frau Langstrumpf“
Foto: Erik Sjöberg/dpa

Bullerbü. Still ist es geworden um Pippi Langstrumpf, die am Donnerstag ihren 70. Geburtstag feiert. „Lasst mich einfach in Würde alt werden“, bat sie vor fünf Jahren kurz vor ihrem 65. Geburtstag - wie eine alternde Diva, die das Blitzlicht-Gewitter nicht mehr erträgt. Für ihre immer noch zahlreichen Fans ein Schock. War es nicht eben diese Pippi, die vor laufender Kamera Krummelus-Pillen gegen das Erwachsenwerden eingenommen hatte? „Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß“, sprachen sie und ihre Freunde Tommi und Annika, bevor sie die Pillen einwarfen. Um immer jung zu bleiben. Um ewig spielen zu können. Was würden Mick Jagger und Keith Richards für eine Handvoll dieser Pillen geben?

Dahinter steckte mehr als nur der Wunsch nach endlosen Spielen im ebenso endlosen schwedischen Sommer. Es war der Wunsch einer Neunjährigen, sich der Verantwortung und Falschheit der Erwachsenenwelt zu entziehen. Oskar Matzerath, der Gnom mit der Blechtrommel, der im Alter von drei Jahren beschloss, das Wachstum einzustellen, war ihr Bruder im Geiste. Aber auch der kleine Trommler gab irgendwann seinen Protest auf, wuchs, wurde Geschäftsmann. Ausgerechnet in der Filmbranche, mit der sie brach. Die immerzu lachende Pippilotta, deren Lebenszweck es zu sein schien, alle Menschen glücklich zu machen, gibt es nicht mehr. „Ich ziehe es vor, dass das Bild, das ich von mir selbst habe, mit der Realität übereinstimmt“, sagte sie vor Jahren.

Von ihrer Funktion als Rollenmodell für junge Frauen will sie dagegen heute nichts mehr wissen. Sie galt als Vorbild für den Feminismus der 90er Jahre, für die Subkultur der Riot Grrls „Ach, die haben gar nichts verstanden“, unkte Langstrumpf später. „Das war doch alles Vulgär-Feminismus mit falschverstandener Gesellschaftskritik. Es tut mir leid, dass ich so vielen jungen Menschen, vor allen den jungen Mädchen, so falsche Hoffnungen gemacht habe.“

Medienanfragen lässt sie seit Jahren unbeantwortet. Legendär ist ihr letzter öffentlicher Auftritt. Das Rolling Stone Magazin hatte sie als Begründerin des Punkrock bezeichnet und zu einem Treffen mit den Punk-Ikonen Malcolm McLaren, ehemals Manager der Sex Pistols, und dessen Ex-Frau, der Modedesignerin Vivienne Westwood, eingeladen. „Für sie immer noch Frau Langstrumpf“, ließ sie gleich zu Anfang den Moderator wissen, der sie beim Vornamen nannte. „Du hast den Punk nicht erfunden — ich war´s“, sagte McLaren zur Begrüßung und feixte hämisch. „Mir egal“, antwortete Langstrumpf. „Wir waren es, Malcolm“, schaltete sich die eifersüchtige Westwood ein. „Ihr nervt“, sagte Langstrumpf. „Alle Beide!“, und ließ zwei verdutzte Egomanen der Unterhaltungsindustrie zurück.

Aus ihrem Privatleben ist nur wenig bekannt. Die Ehe mit Kalle Blomquist, Meisterdetektiv und ehemaliger Kinderstar wie sie, hielt nicht lange. Das ewige Rätsellösen war nicht ihre Welt. Heute lebt sie mit ihren Pferden und einer kleinen Kolonie wilder Äffchen zurückgezogen auf der Insel ihres Vaters.

Dabei hätte sie nach ihrer Filmkarriere alles werden können. Als die Vereinten Nationen bei ihr anfragten, ob sie Sonderbotschafterin für Kinderrechte werden sollte, lehnte sie ab. Sie wollte nicht ständig Peter Maffay begegnen. Eine Umfrage in den 60er Jahren ergab, dass die Schweden sie sogar auf dem Thron sehen wollten. Nicht nur für ihre Fans wäre das die Krönung gewesen. Das ehemals ziel- und zügellose Mädchen als Regentin. Schon nahmen Buchmacher erste Wetten an, ob Carl Gustav sie mit der Kutsche aus der Villa Kunterbunt abholen würde, oder ob sie auf dem Rücken ihres Schimmels „Kleiner Onkel“ in den Stockholmer Palast einziehen würde. Gartenarchitekten planten in den königlichen Parks bereits eine Allee aus Limonadenbäumen. Das ohnehin traditionell kinderfreundlich Königreich Schweden wäre endgültig zum Kinderparadies geworden. Doch sie wollte nicht. Obwohl Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter Langstrumpf mehr Vornamen hat als der damalige Thronfolger Carl Gustav und sie als Tochter eines Südseekönigs sogar von — wenngleich zweifelhaftem — Adel ist, lehnt sie bis zum heutigen Tag alles Repräsentative ab.

Dabei ist sie durchaus eitel. Auf die Frage, was sie sich für ihre Zukunft wünsche, antwortete sie vor fünf Jahren: „Nur noch einmal unerkannt in Stockholm shoppen gehen können. Und dass man einen kleinen Planeten nach mir benennt — die Lindgren hat doch auch einen.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort