Hermann Hesse: Sehnsüchtig und scheu

Hermann Hesse ist bis heute einer der meistgelesenen deutschen Schriftsteller. Sein Todestag jährt sich morgen zum 50. Mal.

Calw/Montagnola. Er war weich und zugleich von unbeugsamer Widerborstigkeit, er war selbstzerstörerisch und dann von Gesundheitswahn besessen. Er sehnte sich nach Liebe, nach Zugehörigkeit und war doch unsagbar scheu. Der Schriftsteller Hermann Hesse hat mit seinen Büchern eine ganze Generation berührt und ihr das Gefühl gegeben, für sie zu sprechen. Gesprochen aber hat Hesse Zeit seines Lebens immer nur für sich selbst.

Seine Zerrissenheit, die Suche nach der Mitte und seine Sehnsucht nach absoluter Hingabe, die er genauso entbehrte, wie er sie mied, hat ihn bis zum Tod begleitet. Dreimal war er verheiratet, den größten Teil seines Lebens verbrachte er in der Schweiz.

1962 starb Hermann Hesse in seinem Haus in Montagnola (Tessin), an dessen Gartentor stets das Schild hing: „Bitte keine Besuche.“ Sein Todestag jährt sich morgen zum 50. Mal.

In seinen Büchern „Unterm Rad“, „Der Steppenwolf“, „Demian“, „Narziss und Goldmund“, „Roßhalde“, „Klingsors letzter Sommer“ oder „Das Glasperlenspiel“ thematisierte der Literaturnobelpreisträger von 1946 Spiritualität und Zerrissenheit, Auflehnung gegen die bürgerliche Gesellschaft und zugleich eine Sehnsucht nach ihrer klaren Ordnung, die stete Suche nach dem Rausch der Leidenschaft und das klägliche Leiden daran.

Seine bürgerliche Existenz warf er hin — vielmehr: Er konnte sie nicht leben. „Er brauchte viel Einsamkeit, um empfangsbereit zu sein, wenn die Ideen kamen“, sagt Hesse-Herausgeber Volker Michels. 1919 flüchtete Hesse aus einer Ehe, deren Enge und Nähe ihm unerträglich geworden war.

Er verließ seine inzwischen psychisch schwer kranke Frau und seine drei kleinen Söhne, die bei Verwandten oder Freunden untergebracht wurden.

Hesse polarisiert seine Leser. Die einen verehren ihn — und das sind nicht wenige. Denn mit rund 125 Millionen Büchern gehört er zu den meistgelesenen deutschsprachigen Autoren weltweit. Allein der Suhrkamp Verlag setzt heute noch jährlich bis zu 400 000 Hesse-Titel ab.

Den anderen — darunter viele Kritiker und Kollegen — gilt Hesse als „ein altmodischer Kauz, ein naiver Naturschwärmer, Kitschdichter knapp oberhalb von Courths-Mahler“, schreibt sein Biograf Gunnar Decker. Er wird als „Esoteriker“ und als weltfremder Sinnsucher geschmäht, der sich an den Zwängen des Bürgertums abarbeitete.

Wer Hesse liebt, der bewundert wie Udo Lindenberg „seine Suche nach Coolness, nach Ausbruch“, seine hellsichtige Kritik am Krieg und die Verachtung des Missionarssohns für die christliche Religion mit ihren unsinnigen Zwängen. Und der geneigte Leser findet in den Romanen die existenziellen Fragen, die zeitlos sind.

Als Hesse mit 85 Jahren stirbt, spricht sein Verleger Unseld am Grab das Gedicht „Leb’ wohl Frau Welt“: „Man soll die Welt nicht schmähen, sie ist so bunt und wild, uralte Zauber wehen noch immer um ihr Bild.“

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