Literatur: Böll-Ausgabe voller Fehler

Germanist Werner Bellmann aus Wuppertal: Gesammelte Werke sind „von vorne bis hinten unprofessionell“.

Köln/Wuppertal. Im zweiten Stock der Kölner Stadtbibliothek scheint Heinrich Böll noch lebendig, dort ist sein Arbeitszimmer im Originalzustand wieder aufgebaut worden. Der abgestoßene Schreibtisch, die selbst zusammengezimmerten Beistelltischchen, das Bambusbett mit der Baskenmütze über einem der Pfosten. Es sieht so aus, als würde er gleich hereinkommen, husten, wie dies nur ein jahrzehntelanger Raucher tun kann, und dann mit seiner tiefen Stimme sagen: "So, dann woll’n wir mal wieder."

"Schreiben wollte ich immer, versuchte es schon früh, fand aber die Worte erst später", hatte der Autor einmal bekannt. Morgen wird der Literaturnobelpreisträger wieder Thema sein: In Berlin wird die komplette 27-bändige Werkausgabe vorgestellt. Neben den Werken wie "Ansichten eines Clowns" und "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" ist auch bisher unveröffentlichtes Material enthalten. Für Bölls Hausverlag Kiepenheuer & Witsch ist es das größte editorische Projekt seiner Geschichte.

Ein Herausgeberteam um den Germanisten Ralf Schnell war für die textkritische Durchsicht und Kommentierung verantwortlich. Neun Jahre wurde an dem 27-bändigen Werk gearbeitet.

Doch der Verlauf dieser Arbeit verlief nicht reibungslos. Da wurde extra eine Forschungsstelle in Wuppertal eingerichtet. Und dann überwarfen sich die Erben Bölls mit dem dortigen Literaurur-Professor Werner Bellmann. Sie machten ohne ihn weiter.

In vier wissenschaftlichen Publikationen hat sich Bellmann, inzwischen mit der Kölner Ausgabe befasst und kommt zu einem vernichtenden Urteil: Die Ausgabe sei "von vorne bis hinten unprofessionell", sagte Bellmann dem "Kölner Stadtanzeiger". Bereits beim "allerersten Schritt", der Suche nach der besten Textgrundlage, habe man Fehler gemacht: "Der Handschriftennachlass ist nicht gesichtet worden, der Briefwechsel ebenso wenig." Zwei Drucke, von 1952 und 1963, seien schlicht verwechselt worden.

Auch da, wo man auf die Typoskripte aus Bölls berühmter Schreibmaschine zugegriffen habe, seien Tippfehler des Zwei-Finger-Schreibers Böll nicht berichtigt worden. So steht nun in Band vier "eine verdammte dünne Gegend", wo Böll in konsequenter Kleinschreibung mit zwei unterschiedlich schnellen Fingerspitzen "dünnegegend" tippte und "eine verdammte Dünengegend" gemeint habe.

Noch schlimmer sei es mit den Texten, die nur als Handschrift überliefert seien. So wurde einst aus den Texten der Satz gelesen (und in Druck gegeben) "sobald ich die Form ausgemacht hatte", wo es nach Bellmann (und der Handschrift) heißen müsste: "Sobald ich die Feder eingetaucht hatte". Rund 50 Fehler, so Bellmann, habe er in "Wo warst du, Adam?" ermittelt, das gleiche gelte für "Und sagte kein einziges Wort".

"Die sachlichen Einwände", räumt Ralf Schnell ein, "müssen, wo sie berechtigt sind, berücksichtigt werden". Eigens für sie wird es im Registerband der Edition eine Errata-Liste geben.

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