Literaturkritiker Fritz J. Raddatz gestorben

Hamburg (dpa) - Er war ein Zeitzeuge des deutschen Kulturlebens: Fritz J. Raddatz, langjähriger Feuilleton-Chef der Wochenzeitung „Die Zeit“, zählte zu den einflussreichsten Literaturkritikern in Deutschland.

Literaturkritiker Fritz J. Raddatz gestorben
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Er schrieb mit spitzer Feder und ohne Weichzeichner, konnte verletzend und bösartig sein. Erst im vergangenen Jahr hatte er seinen Abschied vom Journalismus erklärt. „Ich habe mich überlebt“, schrieb er in einem Artikel für „Die Welt“. Mit 83 Jahren ist Raddatz am Donnerstag gestorben.

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Sein - für manche Leser angesichts der Raddatz-Karriere etwas irritierendes - Lebensfazit hatte er in seinen 2014 erschienenen „Tagebüchern 2002-2012“ formuliert. Der Mann, der mit den Reichen und Schönen, den kulturellen Größen seiner Zeit Kontakt hatte, mit Wohnsitzen in Hamburg, Nizza und Sylt, resümierte: „Nein, ich hatte kein "schönes", für (kurze) Strecken "glückliches" - und das vielleicht gar irrig? - Leben.“

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Raddatz, 1931 in Berlin geboren, wuchs ohne Mutter auf. Seine Kindheit war überschattet von der brutalen Erziehung durch den Vater, einem preußischen Offizier. Nach der Schule studierte er unter anderem Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaften an der Humboldt-Universität in Ostberlin. Auf die Promotion 1954 folgte ein Cheflektorat im Ost-Berliner Verlag „Volk und Welt“. Später siedelte er in den Westen über, war stellvertretender Leiter des Rowohlt-Verlags und schließlich „Zeit“-Ressortleiter in Hamburg.

Der schöngeistige Dandy (Raddatz: „Wer keinen Rucksack trägt, keinen ausgefransten Pullover zu Fetzenjeans, sondern nur normal angezogen ist, ist eben ein Dandy.“) und Porsche-Fahrer, der offen bisexuell lebte, erntete während seiner Laufbahn Einfluss und Anerkennung, aber auch Spott und Häme. Etwa als ihn Ungenauigkeiten 1985 den Chefposten beim Feuilleton der „Zeit“ kosteten - damals saß der Oberkritiker einem falschen Goethe-Zitat auf. Er selbst bezeichnete die Entlassung als „beruflichen Herzinfarkt“, „hinausgeworfen wie ein Hund“.

Raddatz veröffentlichte mehr als 25 Bücher - von Porträts und Biografien bis hin zu literarischen Reiseführern. Die Romantrilogie „Kuhauge“ (1984), „Der Wolkentrinker“ (1987) und „Abtreibung“ (1991) war international erfolgreich.

Mit seiner eitlen und mitunter gnadenlosen Art galt der „Unruhestifter“ - so der Titel seiner Autobiografie - als streitbar und umstritten. In seinen Tagebüchern ging er mit Künstlern, Politikern und Kollegen hart ins Gericht. Der Schriftsteller Botho Strauß ist bei ihm eine „eisenharte Mimose“ und ein überschätztes „Sensibelchen“, Altkanzler Helmut Schmidt pflege „grässliches Oberlehrergequatsche“ und Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld sei ein „Kotzbrocken“.

„Genie, Geck, Galan. Paradiesvogel, Polemiker, Provokateur“, schrieb der ehemalige „Zeit“-Herausgeber Theo Sommer einst über Raddatz. „Ein Mann der Manieren und Manieriertheiten. Flammend und flamboyant. Streitbar, damit er umstritten bleibt.“

An diesem Freitag sollte sein letztes Buch erscheinen. In „Jahre mit Ledig“ beschreibt Raddatz seine Zeit als Stellvertreter des legendären Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt (1908-1992). „Dieses Buch ist ein Denkmal aus Worten“, heißt es in der Ankündigung des Verlags. Das Buch beschreibe, „wie das deutsche Verlagswesen nach dem Krieg neu begann und wie im Rowohlt-Verlag, Reinbek, zwei Männer in gemeinsamer Begeisterung für die Literatur einen internationalen Verlag schufen, wie er nicht seinesgleichen hatte“.

Zwei fertige Manuskripte hatte Raddatz noch in der Schublade. Die liegen jetzt bei seinem Nachlassverwalter. Das „Ledig“-Buch sei sein letztes, sagte er im Januar. „Das war's. Es ist genug.“

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