Mit Dieter Wellershoff in die Welt der Bilder

Der gebürtige Grevenbroicher entführt den Leser ins Museum und erklärt seine Lieblingswerke — unterhaltsam und klug.

Köln/Grevenbroich. Bilder sagen mehr als Worte, heißt es gemeinhin. Was soll man also davon halten, wenn Dieter Wellershoff (88) jetzt ein Buch herausbringt, in dem er seinen Lieblingsgemälden kurze Notate zur Seite stellt? „

Was die Bilder erzählen“, heißt der Band ganz schlicht. Er versammelt gut 230 Gemälde aus sieben Jahrhunderten. Auf die Idee sei er gekommen, als ein Redakteur ihn gefragt habe, ob er mit einem einzigen Satz etwas Treffendes über ein Bild sagen könne?

Am Ende ist es etwas mehr als nur ein Satz geworden. Die Texte zeugen von einem tiefen Verständnis und einer Liebe zur Kunst.

Da ist zu lesen, dass der Berliner Maler Adolph Menzel, der gerade mal 1.40 Meter groß und trotzdem einer der Größten war, extra einen Nachtwächter engagierte, der ihn wecken sollte, wenn es in der Stadt irgendwo brannte, damit er das Feuer malen konnte.

Oder, dass der Amerikaner Mark Rothko, der diese wunderbar transzendenten Farbfelder malte, Pegeltrinker war, der jede Stunde einen Schluck Alkohol brauchte. Am Ende schnitt er sich in der Badewanne die Pulsadern auf und verblutete: „Tod als das unüberbietbares Farbereignis, jeden Bildrahmen sprengend.“

Der in Neuss geborene Wellershoff belässt es nicht bei Bildbeschreibungen, er liefert Hintergrund und Anekdoten und gibt Einblick in persönliche Empfindungen. Über den britischen Maler Lucian Freud, ein Enkel Sigmund Freuds, ist zu erfahren, er habe als Junge im Pferdestall geschlafen, weil er sich dort geborgener als im Schlafsaal des Internats gefühlt habe.

Von der Schule sei er geflogen, weil er auf offener Straße die Hosen herunter gelassen hatte. Als er ein bekannter Künstler war, habe er eine Sondergenehmigung besessen, die es ihm ermöglichte, nachts in die National Gallery zu gehen.

Von der Renaissance bis in die Gegenwart spannt sich der Bilderbogen. Am besten man stelle sich das Buch als ein imaginäres Museum mit vielen Räumen vor und schlendere eigenen Interessen und Neugier folgend hindurch, rät Wellershoff im Vorwort. Ähnlich hat er es auch selbst gehalten.

Vor Adriaen Brouwers „Betrunkenem Bauer“ von 1624 muss er an die Wettbewerbssituation des Komasaufens unter Jugendlichen heute denken. Und Max Ernstes „Die Horde“ (1927) erinnert ihn an Hooligans des 1. FC Köln.

Dieter Wellershoff hat wunderbare Romane („Der Liebeswunsch“, „Der Himmel ist kein Ort“), hervorragende Erzählungen („Das normale Leben“) und erhellende Essays über Literatur („Der verstörte Eros“) geschrieben. Von diesem Mann lässt man sich selbst Bilder gerne erklären.

Auf dass man in den Kunstwerken nicht nur sich selbst sehe, wie in einem Spiegel, sondern durch den Blick eines anderen eine neue Perspektive kennenlerne. Der Bildband wird so auch zu einer Schule des Sehens.

“ Dieter Wellershoff: „Was die Bilder erzählen. Ein Rundgang durch mein imaginäres Museum.“ Kiepenheuer & Witsch, 39,99 Euro

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