Mit Zahlen an der Nase herumgeführt

Ob beim Thema Karnevalsumzug, bei Wirtschaftsdaten, Altersversorgung oder Kriminalität — überall lauert Manipulation.

Düsseldorf. Trauen Sie den Zahlen nicht — dieser Warnruf schallt durch die 320 Seiten des Buches „Lügen mit Zahlen“ von Gerd Bosbach und Jens Jürgen Korff. Wenn zum Beispiel alle Jahre wieder geschwelgt wird, dass der Rosenmontagszug eine Million Menschen nach Köln gelockt habe, sollte man, so raten die Autoren, die Glaubwürdigkeit doch mal anhand einer Überschlagsrechnung in Zweifel ziehen. Und die geht so:

Wenn der Zugweg 6,5 Kilometer lang ist und entlang dieses Zugweges auf jeder Seite des Zuges zwei Personen pro Meter Zuschauerreihe stehen (die müssten schon Schmalhanse sein und diszipliniert auf ihrem Platz bleiben), dann ergäbe das maximal 13 000 Personen pro kompletter Zuschauerreihe: zwei pro Meter mal 6500 Meter. Und nun rechne man hoch: Um eine Million Zuschauer unterzubringen, braucht man schon 77 Reihen dieser Art, also über den gesamten Zugweg 38 dicht gedrängte Zuschauerreihen auf beiden Seiten. Jeder Jeck, der schon mal beim Umzug war, wisse doch, das allenfalls fünf bis zehn Reihen auf jeder Seite Platz haben. In der Überschlagsrechnung könnten da allenfalls 220 000 herauskommen.

Um es sich nicht ganz mit den Kölnern zu verderben, versprechen die Autoren, dass sie für die nächste Auflage ihres Buches eine Plausibilitätsrechnung für Düsseldorfer Zahlen anstellen wollen.

Eine falsche Zuschauerzahl tut noch nicht weh. Doch die Autoren führen auch Beispiele auf, die bösartiger sind. Mit denen etwa Politiker ihre Leistung in ein falsches Licht rücken. Da wird ein Ministerpräsident zitiert, der sich damit rühmt, dass die Schulen seines Landes 2200 vollzeitbeschäftigte Lehrer neu eingestellt haben. Hört sich gut an. Aber ganz anders sieht es aus, wenn man auch die Frage stellt, wie viele Lehrer denn im gleichen Jahr durch Pensionierung oder aufgrund anderer Gründe ausgeschieden sind. In dem im Buch zitierten Beispiel betrug diese von dem Politiker verschwiegene Zahl 2500.

Bissig und zugleich humorvoll weisen Gerd Bosbach (er ist Dozent für Statistik und Mathematik und war mehrere Jahre im Statistischen Bundesamt tätig) und Jens Jürgen Korff (Historiker, Politologe und als Werbetexter mit Versprechen aller Art vertraut) auf Fallen hin, wie sie etwa in Prozentangaben enthalten sind: Rühmt sich eine Firma des Anstiegs des Aktienkurses um 70 Prozent, solle man nachhaken. War nämlich die Aktie am Vortag „so gut wie nichts wert“, dann hat sie sich durch diesen 70-Prozent-Sprung auch nur auf „fast nichts“ gesteigert.

„Ein Bild lügt schneller als 1000 Zahlen“, mahnen die Autoren und erklären anhand vieler Beispielsfälle, wie mit Grafiken ein falscher Eindruck vermittelt wird. Sie zeigen auf, wie Politik gemacht wird mit zwar auf den ersten Blick korrekten, aber durch Fehlen der Zusammenhänge dann doch wieder falschen Darstellungen etwa zur Entwicklung der Sozialausgaben.

Von für den Einzelnen sehr praktischem Nutzen ist ein Kapitel, in dem die Autoren hart mit geschönten Renditerechnungen für private Rentenversicherungen ins Gericht gehen. Exemplarisch wird da am Beispiel gar zu wolkiger Angaben analysiert, wovon man sich gerade nicht blenden lassen sollte.

Ein lehrreiches und amüsant geschriebenes Buch — gleich in der Einleitung wird erklärt, warum die Vatikanstadt einen Spitzenplatz in der Kriminalitätstatistik innehat —, das einem nicht nur beim Verständnis und der Einordnung der täglichen Zahlenflut hilft, sondern auch generell den skeptischen Blick gegenüber Manipulationen schärft.

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