Schriftstellerin Christa Wolf gestorben

Berlin (dpa) - In Ost und West wurde sie gelesen und verehrt: Christa Wolf, eine der bedeutendsten deutschsprachigen Autorinnen der Gegenwart, ist tot.

Die Schriftstellerin starb am Donnerstag im Alter von 82 Jahren nach langer Krankheit im Berliner St.-Hedwig-Krankenhaus, wie der Suhrkamp Verlag mitteilte. Ihr Mann Gerhard Wolf sei bei ihr gewesen. Sie hinterlässt zwei Töchter.

In den Mittelpunkt ihrer Bücher stellte Christa Wolf immer wieder Figuren, die von der deutschen Teilung gezeichnet waren. Zu den bedeutendsten Werken zählen „Der geteilte Himmel“, „Nachdenken über Christa T.“, „Kindheitsmuster“, „Kein Ort. Nirgends“, „Kassandra“ und „Störfall“. Für viele Menschen in der DDR galt sie auch als moralische Instanz - auch wenn sie einige Jahre „IM“ der DDR-Staatssicherheit war. Sie wurde unter anderem mit dem Büchner-Preis und dem Thomas-Mann-Preis ausgezeichnet. Die Bücher wurden in mehrere Sprachen übersetzt.

„Ihre Literatur hat die Menschen in unserem Land bewegt und begeistert und zum Nachdenken gebracht“, erklärte Bundespräsident Christian Wulff. Für sehr viele Leser sei sie mehr als eine Schriftstellerin gewesen. „Sie hat auf fast altmodische und doch immer aktuelle Weise an das Gute geglaubt und an die Verbesserungsfähigkeit des Menschen.“

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat Wolf als bedeutende Schriftstellerin und herausragende Chronistin gewürdigt. „Mit Christa Wolf verliert Deutschland eine seiner bedeutendsten Schriftstellerinnen, eine intellektuelle Persönlichkeit und kritische Instanz in unserem Land“, schreibt Lammert in einem Kondolenzschreiben. Der Ausnahmezustand der deutschen Teilung habe - wie später die Wiedervereinigung - tiefe Spuren im Leben und im literarischen Werk von Christa Wolf hinterlassen, schreibt der CDU-Politiker. Die Widersprüchlichkeiten einer Schriftstellerexistenz in Zeiten der Diktatur habe sie schonungslos offengelegt, und sie habe damit neben der persönlichen Selbstvergewisserung auch einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Aufarbeitung geleistet.

Deutschland verliere eine der bedeutendsten gesamtdeutschen Autorinnen der Gegenwart, erklärte Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Ihre literarischen Gestalten Christa T., Medea und Kassandra seien aus der deutschsprachigen Literatur nicht mehr wegzudenken. „Christa Wolf hat sich nach der Wende der politischen Realität gestellt und stellen müssen, auch wenn schmerzhafte Verwundungen die Folge waren“, erklärte Neumann.

Der Frankfurter Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki, der Wolf lange Zeit eher ablehnend gegenübergestanden hatte, sagte der Nachrichtenagentur dpa: „Sie war eine mutige Schriftstellerin, die die zentralen Fragen ihrer Zeit und ihrer Problematik ausdrücklich behandelt hat.“ Ihr erster großer literarische Erfolg, „Der geteilte Himmel“ (1963) über eine an der deutschen Teilung scheiternde Liebe, wurde eines der meistdiskutierten Bücher in der DDR und später auch von Konrad Wolf für die DDR-Filmgesellschaft DEFA verfilmt.

Wolf hatte sich lange für gesellschaftliche Reformen in der DDR eingesetzt und als SED-Mitglied gegen Willkürmaßnahmen der Staats- und Parteiführung und die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann protestiert. Sie trat aber erst 1989 aus der SED aus. In jungen Jahren arbeitete sie aber auch mit der Stasi unter dem Decknamen „IM Margarete“ zusammen.

Mit der friedlichen Revolution war Wolf im Gespräch als Kandidatin für die erste freie Wahl eines DDR-Staatsoberhaupts. Damals unterschrieb sie mit anderen Autoren einen Aufruf „Für unser Land“, den sie später als Versuch beschrieb, eine „andere“ DDR aufzubauen.

2010 veröffentlichte Wolf mit dem Buch „Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud“ “ (Los Angeles) eine Art Fortsetzung ihres Buchs „Kindheitsmuster“ (1976) als Aufarbeitung der Zeit nach dem Mauerfall und dem Bekanntwerden ihrer früheren Tätigkeit für die Stasi. Darüber legte sie einen Dokumentationsband („Akteneinsicht Christa Wolf“) an, benannte aber auch ihre eigene Bespitzelung durch die Stasi. Sie sprach von einem „dunklen Punkt“ in ihrem Leben.

Wolf hatte sich immer wieder geweigert, die DDR zu verlassen. Für sie gab es keine Alternative zum sozialistischen Staat. Die am 18. März 1929 im heute polnischen Landsberg an der Warthe geborene Schriftstellerin war nach der Flucht 1945 mit der Familie nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen. In Jena und Leipzig studierte sie Germanistik und wurde später wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Deutschen Schriftstellerverband und Cheflektorin des Verlages „Neues Leben“. 1961 erschien „Moskauer Novelle“, ihr erstes Prosawerk.

Der Autor Ingo Schulze („Simple Storys“) nahm Wolf vor Vorwürfen zu ihrer Stasi-Mitarbeit in Schutz. Sie sollte in ihrer „Zerrissenheit“ gesehen und nicht auf ihre zeitweise Rolle als „IM“ reduziert werden, sagte Schulze im Deutschlandradio Kultur. Zu DDR-Zeiten sei es für ihn wichtig gewesen, „dass jemand wie sie eben nicht weggeht“ und Wolfs Bücher weiter in der DDR erscheinen konnten.

Hermann Kant sprach von einem traurigen Tag für die Literatur. Der frühere Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes erinnerte an die Zeiten, „als wir eigentlich befreundet waren - und wir sind später dann nicht fertig geworden mit den Konflikten, die aus den Großkonflikten auch für uns entstanden“. Berlins Kulturstaatssekretär André Schmitz nannte Wolf „eine der großen Frauen der deutschen Literatur“. Wolf sei eine „moralische Instanz der DDR-Leserschaft und Identifikationsfigur einer großen Zahl westdeutscher Leserinnen und Leser“ gewesen, erklärte der Präsident der Berliner Akademie der Künste, Klaus Staeck.

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