Stirbt das Bücherregal aus?

Wenn alle nur noch digital lesen, bleiben die Bretter leer.

Berlin. Ein Blick ins Bücherregal verrät viel. Wo ist der Besitzer schon hingereist? Hatte er eine Harry-Potter-Phase, liest er Marcel Proust im Original oder interessiert er sich nur für „1000 ganz legale Steuertricks“? Ein Bücherregal ist mehr als ein Möbelstück, es ist ein Steckbrief. Was aber passiert in Zeiten elektronischer Bücher mit dem Möbel?

In Deutschland ist der E-Book-Markt anders als in den USA mit einem Prozent des Gesamtumsatzes im Buchhandel zwar noch klein. Aber 2011 wurden mit 4,7 Millionen Netz-Büchern doppelt so viele verkauft wie im Jahr zuvor. Sie gelten in den Verlagen als Hoffnungsträger.

„Billy ade“, titelte schon die „Neue Zürcher Zeitung“. Soweit ist es bei Ikea nicht. „Wir haben da eine duale Strategie“, sagt Sprecherin Annette Wolfstein. Regalklassiker Billy, weltweit mehr als 35 Millionen Mal verkauft, hat einen etwas tieferen „großen Bruder“ bekommen, zum Beispiel geeignet für Bildbände. Das klassische Bücherregal verschwindet aber nicht. „Bücher sind ja auch etwas, mit dem man sich gerne umgibt.“

Der Traditionshersteller Interlübke nahm „Bookless“ („buchlos“) ins Sortiment, ein Regalsystem wie eine Art moderner Setzkasten. Das Design soll das Leben mit Büchern, Medien und Lieblingsstücken neu interpretieren. Das E-Book trete bei vielen an die Stelle raumgreifender Enzyklopädien, erklärt Geschäftsführer Leo Lübke.

Die Frage nach der Zukunft des Bücherregals beantwortet Rafael Horzon, Berliner Autor („Das weisse Buch“) und Möbelhersteller mit leiser Ironie: Das Möbelstück demonstriere auch Bildung und Reichtum, findet er. Ein einziges an die Wand genageltes E-Book-Lesegerät? „Das macht nichts her!“

Vor Jahren sei mit dem Einzug der Computer ja schon das papierlose Büro ausgerufen worden, erinnert sich Horzon. „Allerdings hatten wir nicht damit gerechnet, dass in Büros nun täglich Millionen E-Mails ausgedruckt werden, die abgeheftet und in Regale gestellt werden.“

Der Schriftsteller Ingo Schulze („Simple Storys“) hat gerade 220 Umzugskartons mit Büchern gepackt. Er schätzt auch E-Books, die ganze Kontinente erschließen. „Aber wenn es um Literatur geht, um eben jenen Roman oder jenen Gedichtband, der für Wochen zum Begleiter wird, hätte ich Schwierigkeiten mit dem digitalen Lesen.“ Was ihm persönlich ein Bücherregal bedeutet? „Zu Hause ist ja nicht nur der Ort, an den die Rechnungen geschickt werden, zu Hause ist auch der Ort, an dem die Bücher warten.“

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