„Wie lässig meine Gedichte sind!“

Vor ihrem 65. Geburtstag spricht die Schriftstellerin Ulla Hahn über Liebesverse und ärgerliche Politikerschelte.

Frau Hahn, ist der 65. Geburtstag für Sie Anlass, Bilanz zu ziehen?
Ulla Hahn:
Ach, Bilanz ziehe ich eigentlich schon seit 2001, seitdem ich „Das verborgene Wort“ geschrieben habe. Damals ist eine sehr gute Freundin von mir an Krebs gestorben. Das war ein Anstoß für mich zu schauen, was hast du bisher mit deinem Leben gemacht? Seitdem schaue ich immer wieder zurück, und das ist eine spannende Angelegenheit.

Und was haben Sie dabei erkannt?
Hahn:
Es ist ein sehr schwieriger, aber lohnender Prozess. Zu akzeptieren, dass man nicht mehr die Person von früher ist, die aber noch in einem steckt. Deshalb kann ich mich auch gut in viele Migrantenschicksale hineinversetzen. Wenn man in den 50er Jahren in einer sogenannten bildungsfernen Schicht aufwächst, ist das gut vergleichbar mit dem, was Migranten heute leisten, wenn sie sich integrieren müssen.

Einmal sagten Sie: „Ich möchte auch noch mit 80 Liebesgedichte schreiben, aber bitte nicht dieselben wie mit 40.“ Inwiefern verändert sich Ihr Schaffen?
Hahn:
Es war für mich selbst überraschend, wie lässig meine Gedichte geworden sind. Sie sind freier und frecher. Den Abbau von Ängsten durch mein jahrzehntelanges Schreiben merkt man den Texten an. Ich lese meine früheren Verse wie die Gedichte einer jüngeren Schwester: Etwas wehmütig, etwas neidisch und manchmal mit einem Kopfschütteln.

„Nirgend sesshaft außer im Wort“, schrieben Sie mal. Sind Sie mit 65 Jahren angekommen?
Hahn:
Meine Biografie hat für mich beinah märchenhafte Züge. Aber angekommen? Wenn mein Mann nicht hier wäre — ich könnte morgen meine Sachen packen. Ich bin zufrieden, wenn ich Stift, Papier und einen Laptop habe. An einem Platz, an dem es ruhig ist, warm und hell — und mein Mann irgendwo in der Nähe.

Sie bezeichnen sich als politischen Menschen, aber aus gesellschaftspolitischen Debatten halten Sie sich im Gegensatz zu vielen Kollegen weitgehend heraus. Warum?
Hahn: Wissen Sie, diese Selbstgewissheit, mit der manche Kollegen unsere Politiker beurteilen, kann ich nicht teilen. Nicht nur, weil ich durch meinen Mann das Handwerk von innen kenne. Der Generalverdacht, dass Politiker nur ihre Macht im Sinn haben, ist eine Unverschämtheit. Letzten Endes müssen diese Allesbesserwisser für nichts, was in der Politik geschieht, Verantwortung übernehmen. Doch die Arbeit von amnesty international habe ich schon immer unterstützt.

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