Doku-Theater über NS-Verbrecher Eichmann

Celle (dpa) - Chef-Organisator des Holocausts, Massenmörder, meistgesuchter NS-Kriegsverbrecher: Für Adolf Eichmann gibt es viele Beschreibungen. Die Bewohner im niedersächsischen Altensalzkoth bei Celle haben noch eine mehr: Nachbar.

Vier Jahre lang lebte der NS-Verbrecher nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs unter dem Decknamen Otto Heninger in dem kleinen Dorf. Über Eichmanns Station von 1946 bis 1950 in der Südheide hat der Autor und Regisseur Peter Schanz nun ein facettenreiches Doku-Theaterstück geschrieben und selbst inszeniert: „Altensalzkoth“ wurde im Celler Schlosstheater uraufgeführt.

Nicht schon wieder diese Nazi-Sachen: Zu Beginn des Stücks sprechen die Schauspieler das aus, von dem sie glauben, dass die Zuschauer es denken könnten. Bevor die sich Gedanken darum machen können, sind sie mittendrin in den Erinnerungen derer, die Tür an Tür mit Adolf Eichmann lebten - und davon angeblich nichts wussten, bis Eichmann 1960 der Prozess in Israel gemacht wurde.

Von „Man hat ja nichts geahnt“ über „Ich will nichts mehr davon wissen“ bis hin zu „Natürlich haben es alle gewusst“ gehen die Formeln der Zeugen. Die Aussagen fußen dabei nicht nur auf Recherchen von Schanz, der sechs Monate die Bewohner befragte. Auch ältere Aufzeichnungen von Zeitzeugen-Gesprächen fließen in das Stück ein. Fünf Schauspieler schlüpfen dabei - stets überzeugend - in die unterschiedlichen Rollen.

So sitzen irgendwann drei alte Damen da und erinnern Eichmann. „Der hatte so Augen, die waren so traurig, so melancholisch“, überlegt die eine, während die andere schildert, wie Eichmanns Geliebte vom Chiemsee anreiste und ihm Kaiserschmarrn machte - „seine Leibspeise“.

Eingebettet in das Stück sind nicht nur solche, teils Fremdscham erzeugende Aussagen der Bewohner, sondern auch Sätze von Eichmann selbst. „Reue hat keinen Zweck, Reue ändert nichts“, ruft dieser aus und erinnert sich unter anderem an die Liquidation eines Kindes. Von Gehirnspritzern ist die Rede und vom „Reichsfeind“ Jude - Schanz macht es dem Celler Publikum nicht leicht.

Genau das ist die Stärke des Stücks. Es ist als Kaleidoskop der unmittelbaren Nachkriegszeit angelegt und erstreckt sich bis in die Gegenwart. Eichmanns Rolle unter Hitler, die Befreiung durch die Alliierten, die Gräueltaten im KZ Bergen-Belsen, die Flüchtlingsflut in die Region Celle und die Schwierigkeiten mancher Bewohner damit, die braune Vergangenheit des BND - all das wird angerissen.

Dabei bewertet Schanz nicht, sondern stellt Meinungen und Menschen nebeneinander: vom wütenden Antifaschisten bis zum unerträglichen NPD-Mann, der Bergen-Belsen nicht als KZ anerkennen will. „Die große Frage ist, wie gehen wir mit Vergangenheit und Heimatgeschichte um?“, erläutert Schanz seine Motive.

„Es ist mutig, das Stück in Celle auf die Bühne zu bringen“, sagte die Hamburger Eichmann-Expertin und Historikerin Bettina Stangneth der Nachrichtenagentur dpa. Tatsächlich gilt die Region als Niedersachsens Hochburg der Rechtsextremen. So lässt Schanz die Schauspieler denn auch direkt fragen, wieso die Gegend so einen schlechten Ruf hat.

Die Theaterbesucher - der Großteil im fortgeschrittenen Alter - werden ihre Meinung dazu haben. „Lasst uns drüber reden“, fordern die Schauspieler auf. „Nicht wissen, reicht nicht“, heißt es kurz bevor der Vorhang fällt. Der Applaus hallt lange nach.

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