Festspiele: "Aida" - Das Wasser steht bis zum Hals

Im Bodensee liegt die Wüste: Noch keine „Aida“ war so gigantisch wie die aktuelle in Bregenz.

Bregenz. Wer auf Schuhgröße 2400 baut, lebt entweder auf zu großem Fuß oder hat keinen Grund, kleinlich zu sein. Für "Aida" ist das Größte gerade gut genug. Die beiden blaugoldenen Füße, die jeweils 15 Meter Bühne beanspruchen, sind deshalb durchaus symbolisch zu verstehen: Am Bodensee wird die Freiheit mit Füßen getreten.

7000 Zuschauer merken es stückchenweise: Vor ihren Augen entsteht ein Bühnenbild, das lauter Höhe-Punkte mit sich bringt. Wie könnte es in Bregenz auch anders sein?

Eigentlich ist zum Auftakt der Festspiele alles wie immer: Eine atemberaubende Kulisse ragt in den Himmel - diesmal sind es die Fragmente der Freiheitsstatue, die zwei 68 Meter hohe Baukräne so lange hin- und herbewegen, bis Liebesarie, Triumphmarsch und Todesduett auch den letzten Premierengast innerlich bewegt haben.

Das Ensemble singt grandios, die Wiener Symphoniker sind bestens aufgelegt, spektakuläre Szenen animieren die Fantasie. Und doch ist alles anders: Nie spielten Kranführer eine so entscheidende Rolle, noch nie wurde eine Wüste in den See verlegt, noch nie gingen Sänger und Stuntmen so sehr unter - rein körperlich, versteht sich.

Denn Regisseur Graham Vick setzt vor allem auf Luft und Wasser, lässt Tänzer mindestens knöcheltief im See stehen, am Ende einer glänzenden Vorstellung, Sterne leuchten.

Dass diese nur Lampen an den Kränen sind, dürfte Romantiker nicht stören. Denn das Schöne an den Festspielen ist, dass das Motto "höher, bunter, nasser" nicht nur des Spektakels wegen gilt, sondern auch poetisch umgesetzt wird.

Die Dreiecksgeschichte um den Feldherrn Radames, die ägyptische Königstochter Amneris (Iano Tamar) und ihre Rivalin, die äthiopische Sklavin Aida, ist kein Intrigen-Kammerspiel, sondern monumentales Drama: Dirigent Carlo Rizzi, Paul Brown (Bühne, Kostüme) und Ron Howell (Choreographie) setzen die Wüsten-Oper mit Blick fürs Große und Liebe zum Detail um.

So steht Amonasro (Iain Paterson) das Wasser buchstäblich bis zum Hals: Der König von Äthiopien, Geisel der Ägypter, verharrt bis zu den Schultern im See, während seine Tochter Aida (Tatiana Serjan) ihren geliebten Radames (Rubens Pelizarri) zur Flucht überreden soll. Serjan sticht stimmlich heraus und zeigt ganzen Körpereinsatz. Sie singt geflutet, als ertrinke Aida gleich.

In ganz starken Momenten schreitet Aida engelsgleich über alle Unwägbarkeiten und Hindernisse im See - als ob ein einziger Mensch die gewaltige Kriegsmaschinerie um sich herum allein mit seiner Liebe aufhalten könnte.

Das Konzept geht auf: Statt Pyramiden und Pappmachee-Palmen zeigen verstreute Fragmente, wie brüchig die persönliche Freiheit ist, wenn Eifersucht, Macht und Hass regieren.

Während Rizzi als erfahrener Festspieldirigent die Wiener Symphoniker im angrenzenden Festspielhaus zu Höchstleistungen treibt, sind Solisten und Choristen per Mikroports ganz in ihrem Element.

Sie agieren, als sei der Bodensee ein wohl temperierter Swimming-Pool, und singen erfolgreich gegen die mal mehr, mal weniger störenden Geräusche der Kräne an.

Am Ende siegt die Liebe in himmlischen Sphären: Vor dem gemeinsamen Liebestod entschweben Aida und Radames in einem Boot - nicht wie von Geisterhand, sondern von sichtbaren Kränen gezogen. Weiter unten zieht es allerdings auch Mücken ins Rampenlicht.

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