Im Absurden schlummert die Wahrheit

Stuttgart (dpa) - Traumhafte Wesen. Eine herumkriechende Menschenschnecke, eine Ballerina, ein humanoider Kontrabass.

Im Absurden schlummert die Wahrheit
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Bei der Uraufführung der „Fluxus“-Performance von Regisseur und Musiker Schorsch Kamerun werden die Zuschauer anfangs mit absurder Musik und Liedtexten, aber auch seltsamen Kreaturen konfrontiert. Niemand schafft es, bei der Theater-Installation „Denn sie wissen nicht was wir tun“ im Foyer des Stuttgarter Staatstheaters die Gesamtheit des Gezeigten komplett zu erfassen. Gepflegte Langeweile stellt sich ein.

Doch irgendwann wird deutlich, dass Schorsch Kamerun, Sänger der Hamburger Punkband Goldenen Zitronen, im scheinbar konzeptionslosen Chaos Botschaften versteckt hat. Es geht um die Wahrnehmungsprobleme des modernen Menschen in der technisierten Medien- und Konsumwelt. Immer wieder gesellen sich zum Publikum wie aus Zeitlöchern entsprungene Menschen, die sich allein oder in Gruppen Belanglosigkeiten wie dem kollektiven Zeichnen von Strichen widmen.

Da erschallen Posaunen- und Trompetentöne. Eine Beerdigungszeremonie mit kirchlichen Blasmusikern beginnt, bis die bis dahin ruhigen und nach dem Sinn suchenden Besucher durch Freibier neu aktiviert werden. Das rätselhafte Musiktheater mit begehbaren Parcours-Elementen (Katja Eichbaum) entwickelt sich nun unter Einsatz von hellem Licht zur Party. Die Zuschauer unterhalten sich, Smartphones dokumentieren plötzlich das Absurde, es wird gelacht. Bis schließlich am Ende der 75-minütigen Aufführung das multimediale Zottelwesen „Devo“ und zwei Schauspielerinnen über die Mediengesellschaft reflektieren.

Ihre Botschaft für nachdenkliche Fortgeschrittene: Die Menschen lassen sich in der Gegenwart zu sehr ablenken und kommunizieren nicht mehr richtig miteinander. Das Wesentliche wird kaum noch erkannt. Nur durch Entschleunigung des Lebens kann die „Devolution“, die kulturell-geistige Rückbildung des von Reizüberflutung determinierten Menschen im Alltag von „NSA-Totalüberwachungszeiten“, verhindert werden. Die Abkehr vom Medienkonsum und der Beeinflussung von Marketingstrategien führt zur Erlösung. Für diese Erkenntnisse gibt es am Ende viel Beifall.

Mit der avantgardistischen Kunstbewegung „Fluxus“ nahmen radikale und experimentierfreudige Künstler den Dadaismus in den 1960er-Jahren wieder auf. Bei Konzerten oder Gruppenaufführungen wird im Gegensatz zu Happenings meist streng auf eine Trennung von Künstlern und dem Publikum geachtet. Bekannte Fluxus-Künstler, die mit ihren Werken das Kunstwerk an sich angriffen, sind Joseph Beys oder Yoko Ono.

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