Nackte Tänzer eröffnen Sommerfestival in Hamburg

Hamburg/Berlin (dpa) - Linientreu und präzise schreiten 18 Tänzerinnen und Tänzer imaginäre, immer gleiche Bahnen ab - vollständig nackt, wehrlos bis auf die pure Existenz. Eine halbe Stunde lang geht das so auf dunkler Bühne, zu wuchtig rhythmisch schlagenden Tönen.

Plötzlich bricht die strenge Ordnung auf: Leiber zucken, Hände werden wie in Trauergeste vor die Augen gehalten. Dann steigern sich die Männer und Frauen in einen ekstatischen Tumult, der an einen sexuell aufgeladenen Hexensabbat oder ein antikes Bacchanal erinnert. Am Ende löst sich das Geschehen auf. Das Projekt „Tragédie“ des Pariser Star-Choreografen Olivier Dubois, eine Deutschlandpremiere, hat am Mittwochabend in der ausverkauften Hamburger Kampnagelfabrik das Internationale Sommerfestival eröffnet.

„Tragédie“ ist letzter Teil einer Trilogie, in der sich Dubois mit Auf- und Widerstand beschäftigt. Gedanken des Philosophen Nietzsche vom „Dionysischen“ (Rauschhaften) und „Apollinischen“ (Ruhigen, Klaren) verwendet er, um die Beziehung zwischen Menschlichkeit und Körper auszuloten. Tonwelten komponierte dafür François Caffenne. Parallel zu dem Tanzprojekt zelebrierte in einem anderen Saal Selig-Frontman Jan Plewka seinen Simon-&-Garfunkel-Abend „Sound Of Silence“ als rockiges Musiktheater - und wurde bejubelt.

Szene-Stars sind auch bei diesem Sommerfestival wieder viele dabei, größter Magnet jedoch dürfte Yoko Ono (80) sein, die mit Thurston Moore mit einem Improvisationsabend gastiert (10.8.). Genre-Mix und interdisziplinäre Projekte kennzeichnen die seit 1982 bestehende freie Produktionsstätte und ihr alljährlich im August stattfindendes Festival seit Anbeginn.

Der neue Festivalleiter András Siebold, bislang Chefdramaturg am Haus, verschärft dieses Konzept noch deutlich. „Kunst, fiktive Realitäten und andere Bewusstseinserweiterungen“, wie er im Programmheft schreibt, prägen bis 25. August knapp drei Wochen mit rund 50 Stücken inklusive fünf Uraufführungen und neun Deutschland-Premieren sowie zwei Ausstellungen das Programm. Die von Siebold (37) eingeladenen oder auch angeregten Grenzgänge zwischen Performance und Popkultur, Choreografie, Skulptur und Musik sollen kein reines Insider-Publikum, sondern Jedermann bereichern.

Wohl augenfälligster Beleg für Siebolds Konzept sind zwei Kampnagel-Eigenproduktionen, die zur Uraufführung kommen. Die allegorische Pop-Oper „You Us We All“ (16.-18.8.) um Liebe, Hoffnung, Zeit und Tod schrieb die US-Musikerin Shara Worden (My Brightest Diamond). Das belgische Barock-Ensemble BOX spielt dabei auf alten Instrumenten und es inszeniert das New Yorker Multitalent Andrew Ondrejcak. Siebolds zweites Projekt heißt „Dark Material“ (8.-11.8.). Bei der düsteren Performance über dunkle Materie sorgt der amerikanische Choreograph Jeremy Wade für tänzerischen Ausdruck körperlicher Extremzustände. Die Band Xiu Xiu liefert den Indie-Sound und die polnisch-deutsche bildende Künstlerin Monika Grzymala steuert so explosive wie fragile Raumzeichnungen bei. Von ihr läuft bis 25. August in der Hamburger Kunsthalle die Ausstellung „Mono Meros“.

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