Nazareth Panadero: „Privat bin ich schüchtern“

Seit 30 Jahren steht die Spanierin Nazareth Panadero im Wuppertaler Tanztheater von Pina Bausch auf der Bühne. Hier ist sie mal Vollweib, mal Spielkind und mal das stumme Opfer.

Wuppertal. Paris im Frühsommer 1979: Das Tanztheater Wuppertal gastiert zum ersten Mal in der Stadt. Die junge Ballerina aus Spanien kauft zwei Eintrittskarten für das Théâtre de la Ville. Gemeinsam mit ihrem polnischen Freund sieht sie Pina Bauschs "Blaubart". Einige Zuschauer reagieren begeistert, andere schockiert. Nazareth Panadero und Janusz Subicz sind berührt. "Bis dahin wusste ich gar nicht, dass so etwas existierte", blickt die Tänzerin auf ihre erste und zugleich schicksalhafte Begegnung mit Pina Bausch zurück.

Wie sie da sitzt, in einem Café an der Düsseldorfer Königsallee, die vorderen Haarsträhnen mit zwei Spangen am Kopf festgeklemmt wie ein kleines Mädchen, fühlt man sich an eine Szene aus Pina Bauschs Tanzstück "Palermo, Palermo" erinnert. Da gibt sie das egoistische Trotzkind, das nichts abgeben will und wiederholt: "Das sind meine Spaghetti."

Nazareth Panadero ist ungeschminkt, trägt Wollpulli und Jeans. Kein roter Taft, keine Allüren. Eine unauffällige Erscheinung. Im Café herrscht wenig Betrieb. Ernst blickt Nazareth Panadero auf ihr Glas Sprudelwasser, vertieft in die Erinnerung an Paris.

Nicht nur, dass ihr die "Blaubart"-Aufführung zu denken gab. Die klassische Tänzerin, die in der französischen Metropole eine zeitgenössische Ausbildung begonnen hatte, weil ihr die modernen Ausdrucksmöglichkeiten interessanter schienen, fragte sich, welche Ausbildung diese Tänzer wohl haben mochten. Dabei habe sie nur gedacht: "Ich könnte nichts von alledem."

Die Kunstform Tanztheater war noch jung. "Soll ich erzählen?", fragt die Spanierin, als drängelten die Worte auf ihrer Zunge. Die Bausch-Protagonistin der frühen Generation erinnert sich gerne. Paris vor 30 Jahren - ein wunderbares Erlebnis!

Da war dieses Vortanzen. Aus reiner Neugierde gingen sie und Janusz Subicz hin. "Pina machte einen starken Eindruck auf mich", sagt die Bühnenkünstlerin und grundiert das Wort "stark" ziemlich dunkel. "Es waren sehr viele Tänzer da und ich hatte trotzdem das Gefühl, dass sie zu jedem ein persönliches Verhältnis hatte."

Pina sprach mit den Bewerbern. Zeigte ihnen Neues. "Diese Dame", sagt Panadero aus einer respektvollen Distanz der Erinnerung, "war so menschlich." Sie selbst wäre zufrieden gewesen, dankbar für das Erlebnis. Doch "diese Dame" engagierte zwei der vielen Kandidaten: Nazareth Panadero und Janusz Subicz.

Mit weiten Augen blickt die Panadero durch ihre runden Brillengläser: "Das war mir zu groß, zu faszinierend. Ich glaubte nicht, dass ich das schaffe."

Doch im Herbst 1979 stand die Madrilenin selbst in "Blaubart" auf der Bühne in Wuppertal und im Dezember in der Neuproduktion "Die Keuschheitslegende" - an der Seite ihres heutigen Ehemannes. "Ein Traum erfüllte sich", strahlt sie.

Damals gab es allerdings auch schwierige Momente. Da war die eigenwillige Art von Pina Bausch, durch Befragen ihrer Tänzer nach Erlebnissen und Empfindungen ein Stück zu erarbeiten. "Ich hatte nicht erwartet, dass man mir Fragen stellen würde, ich war doch nur eine Tänzerin", sprudelt die Panadero in spanisch gefärbtem Deutsch. Zuvor war sie beim Ballet Théâtre Contemporain in Angers/Frankreich engagiert gewesen, da tanzte sie, was man ihr gab.

So rechnete sie auch nicht damit, lange in Wuppertal zu bleiben: "Ich dachte, dass ich nicht die Qualität haben könnte und genügend Einfälle", lächelt sie glücklich: "Heute liebe ich diesen Arbeitsprozess." Auch fühlte sie sich damals nicht recht wohl in dem fremden Land. "Vor dreißig Jahren war es härter in Deutschland. Wuppertal ist heute offener." Sie fühlte sich verloren, aber sie war nicht allein. "Es ist besser, zu zweit verloren zu sein."

Nazareth Panadero lebt in drei Welten: Neben der Tanztheater-Wahlverwandtschaft in Wuppertal hat sie ihre Familie in Madrid, die sie oft besucht. Und dann gibt es da noch das Haus in Polen, das sie und ihr Mann gekauft haben. "Ich liebe Polen", sagt die Künstlerin. Es klingt so ehrlich wie ungewöhnlich aus dem Mund einer temperamentvollen Spanierin. Später, sagt sie, wenn sie einmal mehr Zeit habe, wollen die beiden öfter dort sein.

Seit Jahrzehnten bildet die Spanierin im Tanztheater Wuppertal ein Energiezentrum. Sie gibt dem Ensemble ein schrilles, sinnliches, aber auch hintergründiges Profil. Mit knallrot geschminkten Lippen erzählt sie Witze und Anekdoten, um dann selbst in ein kehliges Hexengelächter auszubrechen. Vollweib, Spielkind, aber auch stummes Opfer. Komödiantin und Tragödin. Das alles entdeckte Pina Bausch in ihr. Die Panadero verfügt über reiche Mittel, arbeitet mit Tanz, Gestik und Mimik. Wenn sich in ihrem Gesicht kein Muskel regt, hat sie ihre stärksten Momente.

Privat, sagt sie, lebe sie diese Farben nicht aus. Sie sei immer sehr schüchtern gewesen. Zwar habe sie schon immer gern gelacht, aber nie gerne im Mittelpunkt gestanden, schon gar nicht Witze erzählt. Wer Nazareth Panadero auf der Bühne erlebt, mag es kaum glauben. Doch im persönlichen Gespräch wirkt sie zurückhaltend, freundlich, natürlich. Die Diva trägt Augengläser. Die hatte sie allerdings auch schon bei Rollenkreationen auf der Nase. So seufzt sie in "Walzer" einmal: "Ich könnte so schön sein, aber diese Brille!"

Nazareth Panadero lacht überraschend leicht und hell, gar nicht kehlig. Dabei kokettiert in dieser Szene der Humor mit der Bitternis. "Pina Bauschs Beobachtung der Welt ist voller Humor", sagt sie. Es sei ein feiner Humor, menschlich, aber auch dunkel. Süßsauer. "Guter Humor muss eine traurige oder bittere Seite haben, sonst hat er keine Tiefe", weiß die Künstlerin.

In wenigen Wochen steht Panadero in den "Sieben Todsünden" wieder in Wuppertal auf der Bühne. Sie liebt diese Charakterrolle. Sie sei "farbig, lustig und scharf". Scharf? "Pfeffer!", feuert sie mit spanisch rollendem "r" zurück. Da kommt die schrille Kunstfigur in ihr doch noch ans Tageslicht.

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