Ruhr 2010: Odysseus in sechs Varianten

Eine Reise durch die Kulturhauptstadt mit Stücken von europäischen Dramatikern.

Oberhausen. Zehn Jahre war Odysseus in Homers Epos unterwegs, getrieben vom Zorn des Poseidon. Viel angenehmer ist die "Odyssee Europa": Zwischen sechs Theaterbesuchen werden die Zuschauer an zwei Tagen durchs Ruhrgebiet gelotst, von Gastgebern beherbergt, mit köstlichen Speisen verköstigt, sogar auf ein Schiff entführt.

Die reisenden Theaterbesucher am ersten Wochenende waren in aufgekratzter Feststimmung. Kein Wunder, dass von den sechs Schauspielen, die wichtige europäische Autoren im Auftrag von Ruhr 2010 geschrieben haben, jene am meisten Anklang fanden, die klare Situationen mit großen Gefühlen wählten.

So wie "Penelope" des irischen Autors Enda Walsh, der am Theater Oberhausen vier Freier in einem Swimmingpool stranden lässt: Seit Jahren warten die Rivalen darauf, dass "Penelope" sie erhört. Alt sind sie geworden, und zuweilen gestehen sie sich ihr Scheitern ein. Die vier Schauspieler bringen dieses erbärmliche Dasein bewundernswert zum Ausdruck.

Für das Schlosstheater Moers hat Emine Sevgi Özdamar die Odyssee mit ihrer Biographie verschmolzen: "Perikizi" ist eine junge türkische Schauspielerin, die nach Europa aufbricht und nicht nur schöne Erfahrungen macht. Sie sind von der Autorin mit skurrilem Humor gezeichnet und von Intendant Ulrich Greb als fröhlich-derbes Volkstheater in Szene gesetzt.

Die meisten Stücke setzten aber den Krieger Odysseus ins Zentrum. Roland Schimmelpfennig lässt in seinem "Der elfte Gesang" den Held in die Unterwelt reisen. Auch bei Homer wird diese Episode im Nachhinein berichtet; so wird die Bühne zum Ort, an dem allein die Sprache die Schrecken des Erlebten wieder heraufbeschwört.

Mit Wolfgang Michael als Odysseus, der sich den Toten und damit der Verantwortung der eigenen Untaten stellt, zeigt das Ensemble am Schauspiel Bochum große Sprech- und Schauspielkunst.

Am Theater an der Ruhr tritt Odysseus selbst nicht auf, ist aber präsent als Ahnherr des brutalen 20. Jahrhunderts. Roberto Ciulli inszeniert "Sirenengesang" von Péter Nádas als gewohnt streng zelebriertes Theater der Grausamkeit: Die drei Söhne von Odysseus beherrschen die Szene, verüben sinnlose Gewalttaten, zum Töten angestachelt vom Sirenengesang, der aus Geldspielautomaten säuselt.

Mit dem Kriegsheimkehrer Odysseus beginnt und endet die Reise. Am Schauspiel Essen zeigt Grzegorz Jarzyna, wie ein Mann, der das Handwerk des Tötens zu gut gelernt hat, nicht mehr zurecht kommt mit der Welt, die er einst verlassen hat.

Andreas Grothgar verkörpert mit beeindruckender Intensität die Widersprüche des Soldaten, Ehemanns und Vaters, den zwar Sehnsucht nach Liebe und einem Zuhause umtreibt, der aber seinen Panzer nicht sprengen kann. So ergeht es auch dem "Odysseus, Verbrecher" von Christoph Ransmayr am Schauspiel Dortmund. Wie Rachegeister verfolgen ihn die Toten, die er auf dem Gewissen hat; ihre Stimmen hindern ihn daran, in Ithaka wieder Fuß zu fassen.

Trotz teils schwerer Kost waren die Reisenden begeistert. Nie, so berichtete ein junges Pärchen, hätte sich je bei einem Theaterbesuch so viel Gelegenheit zu Gesprächen ergeben. Begegnungen mit Fremden im Geiste der Odyssee: eine besondere Art, die Kulturhauptstadt zu erleben.

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