Schreiben gegen das Schweigen

Porträt: Lutz Hübner zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Dramatikern. In Düsseldorf ist sein umstrittenes Stück „Ehrensache“ zu sehen.

Düsseldorf. Recht bekam er in der letzten Instanz. Das Bundesverfassungsgericht hat nach fünfjährigem Hin und Her erst kürzlich entschieden, dass sein Stück „Ehrensache“ nun auch in Hagen auf die Bühne kommen darf. Ein Theaterstück, in dem Lutz Hübner von vier Jugendlichen erzählt: Cem und Sinan, zwei türkischstämmige junge Männer, wollen die 16-jährige Schülerin Ellena und deren Freundin aus Hagen an einem Sonntag groß ausführen. Sie machen einen Ausflug nach Köln, der für Ellena mit tödlichen Messerstichen endet.

Ab kommendem Donnerstag ist „Ehrensache“ im Jungen Schauspielhaus Düsseldorf zu sehen. Das Stück basiert auf einer wahren Geschichte, und die Mutter des Opfers wehrte sich vor Gericht. Ihre Tochter sei zu negativ dargestellt, hieß es. Hübner sagt: „Es ist keine Dokumentation und bildet nicht den Originalfall ab. Ich bin heilfroh, dass wir endlich Recht bekommen haben.“ Jetzt sei es endlich das, was er immer gewollt habe: eine Theatergeschichte, die Anlass bietet zur Diskussion.

Das ist dem 1964 in Heilbronn geborenen Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur wichtig. „Ein Stück ist eine Vorlage für ein Gespräch. Ob das in den Schulklassen oder im Publikum danach stattfindet. Was nach der Aufführung diskutiert wird, da wird Theater politisch.“ Hübner zählt zu den produktivsten und meistgespielten Dramatikern Deutschlands.

Was treibt ihn? Will er die Gesellschaft verändern? „Veränderung ist vielleicht zu hoch gegriffen. Da bin ich realistisch genug. Es ist eher so, dass man die Möglichkeit nutzt, 200 Jugendlichen in einem Raum eine Geschichte zu erzählen, über die sie sich danach austauschen können. Dieses Forum kann Kino und Fernsehen gar nicht leisten.“

Gerade in der Pubertät, wenn zwischen Eltern und Kindern oft ziemliches Schweigen herrscht, könne Theater für Verständigung sorgen. „Es bietet eine Schnittstelle, die nicht der häusliche Küchentisch ist, quasi ein Begegnungsort auf neutralem Gelände zwischen den Fronten.“ Hübner fühlt sich ein in die Lebenswelt junger Menschen. Ein nicht ganz leichter Akt. „Dadurch, dass ich immer wieder Workshops mit Schülern gebe, habe ich eine gewisse Nähe. Aber wenn man als Autor so ein Thema verarbeitet, schießt man immer ein bisschen in den Nebel. Erst mit der Premiere und den Vorstellungen bekommt man das Feedback, ob man richtig lag.“

Ein Balanceakt, auch was die Sprache angeht. Ellena und ihre Freundin Ulli, Cem und Sinan, Deutsche und Türken, die verschiedenen Figuren treten durch ihre Sprachcodes deutlich hervor. „Man darf Jugendsprache nicht eins zu eins abbilden. Das würde auf der Bühne sofort schief gehen. Dann ist man im Slang eines Jugendsprache-Lexikons. Es geht eher darum herauszufinden, was für ein Sprachrhythmus das ist. Zum Beispiel bei Sinan ist es so ein Rappen, er redet sehr viel, sehr schnell und sehr flüssig. So bekommt man eine gewisse Musikalität rein. Cem hingegen spricht nur in Statements — ein Weltbild in Hauptsätzen.“

Einfacher sei es nicht, für Jugendliche zu schreiben, sagt Hübner. Recherche, Handwerk — alles der gleiche Aufwand. Nur die Wahl des Themas mache den Unterschied. Wie bei der umstrittenen Geschichte von einem Sonntagsausflug, der im Verbrechen endete. Im Leben und auf der Bühne. „So werden auch Menschen aufmerksam, die sonst nicht ins Theater gehen.“

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