Theater 2.0 - Bühne auf dem Bildschirm

Ulm/Rostock (dpa) - Auch Baumängel haben manchmal ihre Sonnenseiten. Wie damals, im Frühjahr 2011, als das Rostocker Volkstheater wegen Brandschutzproblemen mehrere Wochen schließen musste.

Theater 2.0 - Bühne auf dem Bildschirm
Foto: dpa

Die Sperrung traf die Theaterleute unvorbereitet. „Effi Briest“ nach Theodor Fontane wurde trotzdem die erfolgreichste Premiere in der Geschichte des Theaters - und zwar vor komplett leeren Rängen. Mehr als 4000 Zuschauer verfolgten die Live-Übertragung im Internet. Das Haus hat nur 535 Plätze. Die Folge: Positive Reaktionen nicht nur aus der Region, sondern auch aus den USA, Kanada, Schweden und sogar von den Philippinen.

Was in Rostock damals reine Notlösung war, gehört bei vielen Theaterhäusern mittlerweile zum Programm: Aufführungen nicht mehr nur auf der Bühne, sondern auch im Netz, häufig live, meist kostenlos. Am Ulmer Theater werden schon seit 2012 Vorführungen von der Bühne abgefilmt und gestreamt. Das städtische Theater ist ein Pionier, wenn es um Vorführungen im Internet geht. „La Traviata“, „Kabale und Liebe“, „Refugium“ - auch in der aktuellen Spielzeit sollen Stücke kostenlos im Netz zu sehen sein.

Die Theaterhäuser kämpfen damit um den Nachwuchs. „Das Theater als klassische Bildungs-, Kunst- und Unterhaltungsform ist bei jungen Leuten ähnlich attraktiv wie ein klassisches Konzert - eben gering“, sagt Theaterwissenschaftlerin Doris Kolesch von der Freien Universität Berlin.

Junge Leute wüssten oft nicht mal mehr, wie man Theater schreibt, beschwert sich Andreas von Studnitz, Intendant des Ulmer Theaters. „Und wenn sie's dann wissen, denken sie, das ist der Horror, da gehen irgendwie nur die Spießer rein, die sich eine Krawatte umgebunden haben.“ Ulm will deshalb im Netz Publikum locken, Appetit machen. „Wir sehen das keinesfalls als Ersatz, geschweige denn Konkurrenz.“

In der Donaustadt herrscht keine Angst, dass man Zuschauer an das Internet verlieren könnte. Die Kommentare im Netz machen den Theatermachen Mut. „Dann gibt es viele, die sagen: „Wow, prima, das muss ich mir angucken““, berichtet Verwaltungsdirektorin Angelika Weißhardt. „Das ist ja kein Film. Wenn Sie einen Film klauen und den streamen, dann haben Sie den Film“, meint Intendant von Studnitz. „Aber Theater haben Sie nicht.“

Aber kommen dadurch nicht weniger Zuschauer in die Aufführung, wenn sie auch gratis im Netz zu sehen ist? „Wenn man bewusst damit umgeht, ist es überhaupt keine Gefahr, Publikum zu verlieren“, sagt Rolf Bolwin, der geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins.

Bolwin warnt zugleich aber davor, alle Stücke einfach im Internet zu übertragen - dann werde das Angebot unübersichtlich. „Man muss gezielt Aufführungen ins Netz stellen und sich überlegen, warum man das tut“, sagt er. „Unsere Hauptaufgabe ist, die Menschen ins Theater zu bekommen.“ Auch gezielte Theater-Angebote nur fürs Netz seien eine Überlegung wert.

Auch für Theaterwissenschaftlerin Kolesch ist die Angst vor Publikumsverlust unbegründet. „Die bestimmte Atmosphäre kann ich nie über eine Aufnahme oder ein Video bekommen“, sagt sie. „Und das wissen die Leute.“ Kolesch glaubt an eine Parallelnutzung, an ein Zusatzangebot. „Ich glaube, dass es helfen kann, junge Leute wieder mit der Kunstform Theater vertraut zu machen.“

Der Dramatiker Bertolt Brecht sagte einst: „Das Theater darf nicht danach beurteilt werden, ob es die Gewohnheiten seines Publikums befriedigt, sondern danach, ob es sie zu ändern vermag.“ Laut Wissenschaftlerin Kolesch muss sich das Theater sogar öffnen. Die Vorführungen im Netz seien ein „notwendiger Versuch, in der veränderten Medienkultur nicht abgehängt zu werden.“ Aber lebt die Bühne nicht auch von Zuschauern, vom unmittelbaren Echo, vom Applaus?

Die Schauspieler in Rostock konnten sich jedenfalls 2011 nach der Geisteraufführung von „Effi Briest“ noch vor echtem Publikum verneigen. Die Darsteller eilten in Kostüm und Maske direkt von der Bühne zu einem „Effi“-Public-Viewing in einem Club der Hansestadt, um sich ihren Applaus abzuholen. „Die Leute haben getobt“, berichtete der damalige Theater-Sprecher.

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