„Theater machen ist Luxus“

Ali Samadi Ahadi, Regisseur des Films „The Green Wave“, der am Donnerstag startet, inszeniert ein Stück am Niederrhein.

Herr Samadi, Sie waren mit ihrem Film „The Green Wave“ beim Festival in Sundance. Ihre Eindrücke?

Ali Samadi Ahadi: Es war viel Arbeit. Viele Vorstellungen, Interviews, Begegnungen mit Menschen. Ich habe das noch nicht ganz verdaut.

Wie stark empfinden Sie jetzt den Kontrast zwischen großer Filmwelt und Theater am Niederrhein?

Samadi: Das nehme ich gar nicht wahr. Wenn man konkret an etwas arbeitet, ist es ganz egal, wo. Es macht für mich keinen Unterschied, ob ich Robert Redford treffe oder die Kollegen hier.

Samadi: Es war ein bisschen traurig, ihn zu sehen, weil er so alt geworden ist. Er ist erst 73, aber er wirkt gebrochen. So will man seine Helden nicht sehen.

Haben Sie damit gerechnet, dass Ihr Film so sehr in aller Munde ist?

Samadi: Ich rechne nie mit irgendwas, wenn ich einen Film mache. Wenn man Monate in der Dunkelkammer hockt und so ein Kind gebärt, ist man nur damit beschäftigt. Man hat keinen Abstand. Man versucht einfach, das Beste für sein Baby hinzukriegen. Das Hoffen beginnt danach.

Bekommen Sie aus dem Iran Reaktionen auf den Film, der ja die Proteste nach den Wahlen im Iran 2009 thematisiert?

Samadi: Ja, ab und zu. Manche bekommen mit, dass der Film jetzt hier anläuft. Und die Zeitungen im Iran schütten viel Schimpfe über mich und den Film aus.

Glauben Sie, dass der Film jemals richtig im Iran ankommt?

Samadi: Das glaube ich schon. Die Iraner sind recht flink mit so was. Der Film wird dort kopiert und unter der Hand verteilt werden.

Was ist Ihnen wichtiger — wie der Film dort aufgenommen wird oder die Reaktionen im Westen?

Samadi: Beides. Im Iran soll der Film der Gesellschaft einen Spiegel vorhalten — das ist Aufgabe der Kunst. Dort sind solche Filme derzeit nicht möglich, weil die Regisseure unter Druck stehen oder im Gefängnis sitzen. Ich möchte aber auch außerhalb des Irans eine Diskussion anregen. Wir müssen für uns klären — auch in Deutschland —, wie wir mit Diktatoren und Unrechtsstaaten umgehen möchten. Wir haben eine Verpflichtung, die Menschenrechte hochzuhalten. Das ist keine Last, sondern eine Ehre.

Wie stark verfolgen Sie aktuell die revolutionären Bewegungen in anderen Ländern des Nahen Ostens?

Samadi: Die Ereignisse elektrisieren mich. Ich wache mit den Nachrichten von dort auf und gehe mit ihnen ins Bett. Ich erlebe das als historisches Momentum.

Waren die Revolutionen in Tunesien und Ägypten nur der Anfang?

Samadi: Ich glaube, dass sie uns gezeigt haben, dass wir ein neues Mittel gegen Diktatoren haben. Die Herrscher haben die Kontrolle über die Nachrichten verloren. Jeder kann heute Nachrichten kreieren und sie der Welt zur Verfügung stellen. Und plötzlich erscheinen die Mubaraks wie Menschen aus der Steinzeit.

Fühlen Sie sich mit den Menschen im Iran besonders verbunden, weil sie selbst von dort stammen?

Samadi: Sicher, aber das ist nicht entscheidend. Ich habe vorher in Uganda, Simbabwe oder Südafrika Filme gemacht und mich den Menschen dort verpflichtet gefühlt. Ich finde, Diktatoren — egal wo — passen nicht mehr ins Bild des 21. Jahrhunderts.

Eine idealistische Botschaft.

Samadi: Ich mache nur Filme, wenn ich was zu sagen habe. Die Menschenrechte sind die Grundlage unseres Miteinanders. Sie sind absolut unantastbar. Eine andere Frage ist, ob man das nach 20 000 Interviews noch so sagen kann, wie man es empfindet.

Heißt das, Sie hören sich in Interviews manchmal selbst reden?

Samadi: Ja.

Was soll ich fragen, damit sich das ändert?

Samadi: Das hat nichts mit Ihren Fragen zu tun. Ich habe früh gelernt, dass man beim Filmemachen auf seine innere Stimme hören muss. Aber wenn man zu viel Output hat, verliert man leicht den Kontakt zur inneren Stimme.

Sie sind mit 13 aus dem Iran geflohen, haben hier Abi gemacht, studiert und sind heute erfolgreicher Filmemacher. Staunen Sie manchmal über sich selbst?

Samadi: Eher darüber, was das Leben mit einem macht, wo die Wellen einen abholen und wieder ausspucken. Es ist bemerkenwert: Ein kleiner Junge aus Tabriz macht erst Filme in Afrika und dann Theater in Krefeld. Was ist nur passiert?

Was ist passiert?

Samadi: Ich bin aus dem Iran geflohen, weil ich als Kindersoldat in den Krieg ziehen sollte. Ohne diesen Krieg, in dem zwei Millionen Menschen gestorben sind, hätte ich vermutlich wie meine Geschwister Medizin studiert. Ich würde ein anderes Leben leben.

Was interessiert Sie daran, erstmals im Theater Regie zu führen?

Samadi: Bei meiner Komödie „Salami Aleikum“ hatte ich beim Dreh 250 Leute um mich herum. Bei so einem Riesenapparat bleiben Dinge auf der Strecke. Ich wollte mich jetzt mal auf eine Situation konzentrieren. Theater machen ist Luxus: Ein Stück sechs Wochen lang zu zerkauen, ist einfach toll.

Haben Sie Angst zu scheitern?

Samadi: Komödie bedeutet viel Arbeit, sie lebt von Präzision, von Details. Sie lebt davon, dass man die Momente ergreift. Das will ich versuchen.

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