Veiel inszeniert die Gesichter der Finanzkrise

Stuttgart (dpa) - Sie verzocken Milliarden, kassieren hohe Bonuszahlungen und tragen teure Anzüge: Fast zwei Dutzend solcher Top-Banker hat der Regisseur und Filmemacher Andres Veiel („Wer wenn nicht wir“) getroffen und sich von ihnen in die Geheimnisse der Finanzbranche einweihen lassen.

Das Resultat macht er nun öffentlich: An diesem Freitag (11.1.) feiert „Das Himbeerreich“ in Stuttgart seine Uraufführung. Veiels zweites Theaterstück entstand in Koproduktion mit dem Deutschen Theater Berlin, wo es dann am 16. Januar Premiere hat.

„Ich habe mit sehr vielen Alphatieren gesprochen, die es sehr weit nach oben geschafft haben“, erzählt der 53-Jährige. Als die Deutsche Bank jüngst Besuch von der Steuerfahndung hatte, sei er nicht verwundert gewesen. Zum Schutz seiner Gesprächspartner hat Veiel das Gesprächsmaterial aber vernichtet, wie er betont. „Ich kann nur soviel sagen: Mich überrascht es nicht, wenn in nächster Zeit noch andere Türme gestürmt werden.“

In „Das Himbeerreich“ - nicht zuletzt eine Umschreibung für die Annehmlichkeiten vieler Banker - geht es aber keineswegs darum, gewissenlose Zocker vorzuführen. Veiel sagt, ihn interessierten die Strukturen des Finanzsystems - und die Menschen dahinter. Was sind ihre Beweggründe? Was treibt sie an?

„Die erste Assoziation ist Gier. Aber ich glaube, dass es das nicht trifft, dass es um Anerkennungsverhältnisse geht und den Kick“, sagt Veiel. Durch den dritten Porsche werde das persönliche Glück schließlich nicht größer. Oft hätten die Banker, die er getroffen habe, beispielsweise in der Kindheit Demütigung erfahren. Im Stück wird das mitunter durch Rückblenden innerhalb der eigentlichen Szene dokumentiert.

Der studierte Psychologe Veiel weiß, wovon er spricht: Bereits für seinen Dokumentarfilm „Black Box BRD“, in dem er die Biografien des getöteten Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen und des Terroristen Wolfgang Grams gegenüberstellt, interviewte er Größen aus der Finanzbranche. Viele Vorstandsmitglieder hatten den Kollaps schon damals, vor gut zehn Jahren, kommen sehen.

„Als die Krise tatsächlich kam, dachte ich: "Wenn, dann ist der richtige Ort dafür das Theater"“, sagt Veiel. „Weil schon sehr früh klar war, dass niemand bereit gewesen wäre, ohne Anonymisierung mit mir zu reden.“ In der Inszenierung tauchen seine Gesprächspartner schließlich in Form von fünf Investmentbankern und einem Vorstandsfahrer auf. Die Aussagen seien aber allesamt real, betont der Regisseur.

Ob man vielleicht im Premieren-Publikum einen Blick auf die „echten“ Top-Banker erhaschen könne? Keine Chance, sagt Veiel. „Die kommen nicht. Es wird da niemand zu beobachten sein, dessen Geschichte erzählt wird.“ Am meisten beschäftigt haben Veiel ohnehin nicht die Untiefen der Banker-Seele, wie er erzählt. Vielmehr sei es die Erkenntnis gewesen, inwieweit politische Entscheidungen mit der Finanzkrise zusammenhängen.

„Mich hat sehr in Unruhe versetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit der Staat bestimmte Deals propagiert hat“, sagt er. „Dass Banker natürlich auf ihren Vorteil aus sind - das sind ja die Naturgesetze des Investmentbankings. Aber dass das befeuert wurde von der Politik, das ist etwas, worüber ich immer wieder fassungslos bin.“

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